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Barcelona 02 - Das Spiel des Engels

Barcelona 02 - Das Spiel des Engels

Titel: Barcelona 02 - Das Spiel des Engels
Autoren: Carlos Ruiz Zafón
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Der Schrank stand noch immer an der Seitenwand. Die feuchtkühle Luft, die aus dem Loch in der Wand kam, erfüllte den Raum. Ich stellte die Lampe auf den Boden, begann, mit den Fingernägeln im aufgeweichten Mörtel um das Loch herum zu bohren, und spürte, dass er zerbröselte. In der Schublade eines Tischchens in der Ecke fand ich einen alten Brieföffner, mit dem ich im Mörtel stocherte. Der Gips löste sich leicht, die Schicht war höchstens drei Zentimeter dick. Auf der Rückseite stieß ich auf Holz.
    Eine Tür.
    Mit dem Brieföffner brach ich den Gips an den Rändern heraus, bis sich die Tür allmählich in der Wand abzeichnete. Mittlerweile hatte ich die im Schatten lauernde nahe Anwesenheit vergessen, die die Wohnung vergiftete. Die Tür hatte keine Klinke, nur ein rostiges Schloss, das mit Gips verklebt war. Ich bohrte den Brieföffner hinein und stocherte vergebens. Dann trat ich mit den Füßen auf die Tür ein, bis der Gips, der das Schloss festhielt, allmählich nachgab. Schließlich hatte ich es so weit freigelegt, dass ein einfacher Stoß die Tür aufdrückte.
    Ein Schwall fauliger Luft drang heraus und setzte sich in meine Kleider und auf die Haut. Ich hob die Lampe vom Boden auf und ging hinein. Der Raum war ein Rechteck von etwa fünf oder sechs Meter Tiefe. Die Wände waren übersät mit Zeichnungen und Inschriften, die mit den Fingern angebracht schienen. Die Linien waren dunkelbräunlich – trockenes Blut. Der Boden war bedeckt mit etwas, was ich zunächst für Staub hielt, was sich aber im Schein der Lampe als Überreste kleiner Knochen entpuppte. Tierknochen, zerbröckelt in einem Meer aus Asche. Von der Decke hingen an schwarzen Schnüren unzählige Gegenstände, unter denen ich religiöse Figuren, Heiligen- und Muttergottesbilder mit verbranntem Gesicht und ausgestochenen Augen, mit Stacheldraht umwickelte Kruzifixe, Reste von Blechspielzeug und glasäugigen Puppen entdeckte. Die Gestalt befand sich ganz hinten, war fast nicht zu sehen.
    Ein auf die Ecke ausgerichteter Stuhl. Darauf eine schwarzgekleidete Person. Ein Mann. Die Hände waren im Rücken mit Handschellen gefesselt. Ein dicker Draht hielt seine Glieder am Stuhl fest. Eine Kälte überkam mich, wie ich sie bisher nicht gekannt hatte.
    »Salvador?«, brachte ich heraus.
    Langsam ging ich auf ihn zu. Die Gestalt rührte sich nicht. Einen Schritt von ihr entfernt blieb ich stehen und streckte zögernd die Hand nach ihr aus. Meine Finger berührten ihr Haar und legten sich auf ihre Schulter. Als ich den Körper drehen wollte, spürte ich, dass unter meinen Fingern etwas nachgab. Im nächsten Moment vernahm ich ein leises Rascheln, und die Leiche zerfiel zu Asche, die sich über die Kleider und Drahtfesseln ergoss und dann in einer dunklen Wolke aufstieg, um zwischen den Wänden des Gefängnisses hängen zu bleiben, in dem Salvador jahrelang versteckt gewesen war. Ich schaute zu, wie die Asche emporstieg, führte die Hände ans Gesicht und verstrich die Reste von Ricardo Salvadors Seele auf der Haut. Als ich die Augen öffnete, sah ich Diego Marlasca, seinen Kerkermeister, auf der Türschwelle der Zelle warten, in den Händen das Manuskript des Patrons und Feuer in den Augen.
    »Ich habe es gelesen, während ich auf Sie gewartet habe, Martín«, sagte er. »Ein Meisterwerk. Der Patron wird es mir zu lohnen wissen, wenn ich es ihm in Ihrem Namen übergebe. Ich gestehe, ich war nie fähig, das Rätsel zu lösen, bin nie weitergekommen. Ich freue mich, festzustellen, dass der Patron einen talentierteren Nachfolger gefunden hat.«
    »Gehen Sie mir aus dem Weg.«
    »Tut mir leid, Martín. Glauben Sie mir, es tut mir wirklich leid. Ich hatte viel für Sie übrig.« Er zog etwas aus der Tasche, was wie ein Elfenbeingriff aussah. »Aber ich kann Sie nicht aus diesem Zimmer lassen. Es ist Zeit, dass Sie die Stelle des armen Salvador einnehmen.«
    Er drückte auf einen Knopf im Griff, und im Halbdunkel blitzte ein doppelschneidiges Messer auf.

Mit einem Wutschrei stürzte er sich auf mich. Die Messerklinge schlitzte mir die Wange auf und hätte mir das linke Auge ausgestochen, hätte ich mich nicht zur Seite geworfen. Ich fiel rücklings auf den mit Knöchelchen und Asche bedeckten Boden. Marlasca umklammerte das Messer mit beiden Händen und ließ sich auf mich fallen, das ganze Gewicht auf die Schneide verlagernd. Die Messerspitze zitterte zwei Zentimeter über meiner Brust, während ich ihn mit der Rechten an der Gurgel packte.
    Er drehte
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