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Barcelona 02 - Das Spiel des Engels

Barcelona 02 - Das Spiel des Engels

Titel: Barcelona 02 - Das Spiel des Engels
Autoren: Carlos Ruiz Zafón
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los und warf mich zur Seite.
    Ich betastete meine Brust und fand das Einschussloch. Ich knöpfte den Mantel auf und zog Die Schritte des Himmels heraus. Die Kugel war durch den vorderen Deckel eingedrungen, hatte die fast vierhundert Seiten durchbohrt und guckte wie eine silberne Fingerspitze aus dem hinteren Deckel. Neben mir wand sich Grandes am Boden und hielt sich verzweifelt den Hals. Sein Gesicht war dunkelviolett, und die Stirn- und Schläfenadern pulsierten wie Hochspannungskabel. Er warf mir einen flehenden Blick zu. Ein Netz geborstener Gefäße breitete sich in seinen Augen aus, und ich begriff, dass ich ihm mit den Händen die Luftröhre zerquetscht hatte und er hoffnungslos erstickte.
    Ich schaute zu, wie er im qualvollen Todeskampf auf dem Boden zuckte. Ich zog den weißen Umschlag aus seiner Tasche, öffnete ihn und zählte fünfzehntausend Peseten – der Preis für mein Leben. Ich steckte ihn ein. Grandes robbte seiner Waffe entgegen. Ich stand auf und schob sie mit dem Fuß aus seiner Reichweite. Mitleid heischend klammerte er sich an meinen Knöchel.
    »Wo ist Marlasca?«, fragte ich.
    Seiner Kehle entrang sich ein dumpfes Ächzen. Ich sah ihm in die Augen und erkannte, dass er lachte. Die Kabine war schon in den San-Sebastián-Turm eingefahren, als ich ihn zum Türchen hinausstieß. Ich sah seinen Körper fast achtzig Meter tief durch ein Gewirr von Stangen, Kabeln, Zahnrädern und Stahlstreben stürzen, die ihn zerfetzten.
     

 24
    Das Haus mit dem Turm war in Dunkelheit gehüllt. Ich tappte die Steinstufen zum Treppenabsatz hinauf und fand die Tür angelehnt. Ich stieß sie auf und blieb auf der Schwelle stehen, um die Schatten im langen Korridor zu erkunden. Dann tat ich einige Schritte und blieb wieder stehen, reglos, abwartend. An der Wand tastete ich nach dem Schalter, den ich viermal drehte, ohne dass das Licht anging. Vorsichtig brachte ich die drei Meter bis zur ersten Tür rechts hinter mich, die in die Küche führte, und blieb davor stehen. Ich erinnerte mich, in einem der Speiseschränke eine Öllampe zu verwahren, die ich zwischen noch ungeöffneten Kaffeedosen aus dem Hause Gispert auch fand. Ich stellte sie auf den Küchentisch und zündete sie an, sodass sie die Wände in schwaches Bernsteinlicht tauchte. Dann ging ich mit der Lampe wieder auf den Korridor hinaus.
    Das flackernde Licht in die Höhe haltend, rückte ich langsam vor und erwartete jeden Augenblick, etwas oder jemanden aus einer der Türen links und rechts auftauchen zu sehen. Ich wusste, dass ich nicht allein war.
    Ich konnte es riechen. Ein säuerlicher Gestank nach Wut und Hass lag in der Luft. Am Ende des Korridors hielt ich vor der Tür zum letzten Zimmer inne. Im Schein der Lampe traten die Umrisse des von der Wand abgerückten Schranks hervor, die Kleider waren noch genauso auf dem Boden verstreut, wie ich sie zwei Tage zuvor hinterlassen hatte, als Grandes mich verhaftet hatte. Dann ging ich weiter, bis zum Fuß der Wendeltreppe. Langsam stieg ich ins Arbeitszimmer hinauf, alle zwei, drei Stufen einen Blick zurückwerfend. Durch die Fenster sickerte der rötliche Schein der Dämmerung. Rasch durchquerte ich den Raum bis zur Truhe an der Wand und klappte den Deckel auf. Die Mappe mit dem Manuskript für den Patron war verschwunden.
    Als ich auf dem Weg zurück zur Treppe am Schreibtisch vorbeikam, sah ich, dass die Tastatur meiner alten Underwood zertrümmert war, als hätte jemand mit Fäusten auf sie eingeschlagen. Langsam stieg ich die Stufen hinunter. Wieder im Korridor, spähte ich in die Veranda. Selbst im Halbdunkel konnte ich sehen, dass meine sämtlichen Bücher auf dem Boden lagen und das Leder in Fetzen von den Sesseln hing. Ich drehte mich um und starrte in die zwanzig Meter Korridor, die mich von der Eingangstür trennten. Im spärlichen Licht der Öllampe waren nur zur Hälfte Umrisse zu erkennen, jenseits davon wogten die Schatten wie schwarzes Wasser.
    Ich erinnerte mich, die Wohnungstür beim Eintreten offen gelassen zu haben. Jetzt war sie zu. Ich ging einige Meter weiter, aber als ich wieder am hintersten Zimmer vorbeikam, ließ mich etwas abrupt stehen bleiben. Beim Eintreten hatte ich es nicht bemerkt, da die Zimmertür nach links aufging und ich nicht aufmerksam genug hingeschaut hatte, aber jetzt sah ich es ganz genau. Eine weiße Taube mit ausgebreiteten Flügeln hing wie ein Kreuz an der Tür. Frische Blutstropfen rannen übers Holz.
    Ich trat ins Zimmer. Hinter der Tür war niemand.
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