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Banalverkehr - Roman

Banalverkehr - Roman

Titel: Banalverkehr - Roman
Autoren: Heyne
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dass es nicht durch meine Wohnungstür passt und draußen warten muss.
    Wie ein Hund vor der Metzgerei.
    An einem anderen Tag ist sie zu Tode betrübt und fühlt sich von der Welt ausgeschlossen.
    Wie ein Hund vor der Metzgerei.
    Wahrscheinlich liebe ich sie deswegen. Ich bin nämlich genauso.
    »Puppe, nimm’s mir nicht übel, aber das muss jetzt echt mal gesagt werden: Dieser ganze vulgäre Quatsch, also ein bisschen Niveau sollten wir schon versuchen zu wahren.«
    Es ist nicht so, dass ich die Worte nicht verstehen würde. Doch, doch. Ich kenne jedes einzelne. Nur nicht in dieser Reihenfolge zu einem Satz formuliert und schon dreimal nicht aus Lenes Mund.
    »Wegen dem Analwitz jetzt oder wie?«
    Lene stöhnt, aber das von ihr gewahrte Niveau verbietet es, sich zu meinen verbalen Analitäten zu äußern. Hier. Stimmt. Doch. Was. Nicht. Wenn man schon nicht mal mehr Analwitze machen darf.
    »Ist alles okay mit dir?«, frage ich also ernsthaft besorgt.
    »Du hast mir nicht eine Sekunde lang zugehört. Kann das sein?«
    Ich hasse rhetorische Fragen. Sie sind unnötig. Unnötig und sinnlos. Vor allem, weil Lene als meine linke Titte doch genau weiß, dass ich gar nicht hätte zuhören können. Immerhin ist es schon kurz vor acht, in einer Stunde erwarte ich sie, und bis dahin muss ich mich restauriert haben. Das Telefon auf Lautsprecher gestellt mit einer quasselnden Lene in der Leitung dient da eher als Hintergrunduntermalung, während ich durch die unendlichen Tiefen meines Kleiderschrankes krieche.
    »Aber dafür hab ich meinen Ledermini wieder gefunden!«, sage ich triumphierend. Und Lene, natürlich in ihrer Funktion als linksseitiges, sekundäres Geschlechtsmerkmal, sollte darauf unverzüglich Verständnis äußern, weil sie weiß, wie lange dieses knappe Stück abgezogene Tierhaut als verschollen galt.
    »Fast zwei Jahre lang«, füge ich hinzu, als das unverzügliche Verständnis komischerweise in Verzug ist. »Zwei«, sage ich nochmal und beinah schon verzweifelt. Hier. Stimmt. Mal. Ganz. Gewaltig. Was. Nicht.
    » Dein Ledermini. Du . Du . Du . Und ich sage: Du hast mir nicht zugehört.«
    So weit waren wir zwar schon, aber ja, es stimmt: Ich und mein Ledermini haben nicht zugehört Alles, was uns interessiert, ist, dass Lene wieder da ist.
    Mehr als drei scheinbar endlose Monate Australien liegen hinter uns. So lange waren wir noch nie voneinander getrennt. In den ganzen zehn Jahren unserer Brust-Symbiose nicht.
    Seit dem Tag, an dem wir uns kennen lernten im Hörsaal der Uni. Es war der erste Tag des Semesters und die vermeintliche Besiegelung einer brotlosen Karriere als Germanisten. Lene kam fast zeitgleich mit mir in den riesigen Raum, und wir erkannten einander sofort, weil wir anders waren als die anderen. In kurzen Röckchen waren wir auf bunten High-Heels in eine Brutstätte hornbebrillter menschlicher Jutetüten gestolpert, und deren Blicke (irgendwas zwischen Missgunst, Abscheu und Vorurteil) ließen den wenigen Stoff an unseren Körpern verschwinden, bis wir beide dastanden, nackt und hilflos, mit demselben Gedanken im Kopf: »Ich bin hier irgendwie falsch«.
    Aber dann trafen sich unsere Blicke, und im Nachhinein ist es schwer zu sagen, ob es Liebe auf den ersten Blick war oder doch nur pure Verzweiflung. Immerhin ist es einfacher, anders zu sein, wenn noch jemand mitmacht. Und so machten wir sprichwörtlich auf dem Absatz kehrt, kauften uns am Kiosk zwei Flaschen Bier und setzten uns auf die Campuswiese, um unsere Zwangszusammenrottung als Geburtsstunde einer großartigen Schwesternschaft zu betrinken. Das taten wir von nun an fast jeden Tag. So oft, dass nach einem Semester klar war, dass wir nicht weiterstudieren würden. Aber das mussten wir auch nicht. Wir waren immerhin zusammen und so gut, dass wir die Weltherrschaft auch ohne Diplom an uns reißen würden.
    »Wäre es nicht besser, du kämst langsam mal in die Gänge? Der Aperol wartet schon im Kühlschrank, wir trinken ’nen Schluck, du erzählst den ganzen Kram nochmal. Und dann: halali!« Ich fühle mich gerade ein bisschen wie ein kleines Kind an Heiligabend. Ich weiß, dass mein tolles, neues Puppenhaus unter dem Baum wartet, aber bevor ich da rankomme, werde ich gemeinerweise noch in einen 45-minütigen Kindergottesdienst mit Liveaufführung der Weihnachtsgeschichte gepeinigt. Meine kindlich naive Psyche wird vergewaltigt, als ich mit ansehen muss, wie eine Sechsjährige sich hochschwanger zwischen Strohballen und Mutationen aus
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