Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Balla Balla

Balla Balla

Titel: Balla Balla
Autoren: Sobo Swobodnik
Vom Netzwerk:
Aufschneider wie den Arno Brunner aus Altötting hereinfällt.
    »Wenn Sie’s interessiert«, sagte der jetzt, »kommen Sie doch morgen Nachmittag einfach mit ins Stadion zu den Sportfreunden Altona-Nord.«
    Spielvereinigung, dachte Plotek, das heißt Spielvereinigung Altona-Nord.
    »Geht leider nicht, wir haben schon ein Sightseeing-Programm gebucht«, sagte Agnes und tätschelte Ploteks Hand.
    »Schade, ich hätte da noch zwei Karten übrig.«
    »Ja, sehr schade. Aber vielleicht ein andermal.«
    »Ja.«
    Nein, dachte Plotek, und dabei kroch ihm langsam ein Gedanke ins Hirn, der etwas Erleichterndes, Tröstendes hatte. Als Agnes später auf dem Klo war, sagte er in Andy-Brehme-Manier: »Also ich täte schon wollen mögen, wegen den Karten, ich könnte mir schon vorstellen, dass die Agnes und ich, wenn es gehen würde, könntest du mir vielleicht die zwei Karten ...«, stocherte Plotek vor sich hin, als wären die Worte in der wabernden Masse vor dem ovalen Fenster versteckt. Ob dafür sein hundsmiserabler Gesamtzustand verantwortlich war oder seine angeborene rhetorische Schwäche – keine Ahnung.
    »Klar.«
    »Vielleicht kann ich sie, die Agnes, kann ich sie doch noch umstimmen.«
    Natürlich konnte er das nicht, das war Plotek klar, das wollte er auch gar nicht. Darum ging es Plotek auch nicht. Aber das konnte Arno natürlich nicht wissen.
    »Aber...«, Plotek legte den Finger auf den Mund, »psst.«
    »Klar.«

    Als Agnes zurück war und die beiden sich unterhielten, als wären sie zwei Pennäler und das Flugzeug ein Schulhof, wendete sich Plotek schließlich ganz ab und sah das erste Mal so richtig aus dem ovalen Fenster. Er verlor sich in der wabernden Masse und sah sich selbst dabei zu. Das sagt man einfach so – stimmt aber.
    Es war diese Verschiebung vom Subjekt zum Objekt, der Plotek immer wieder mal verfiel. Auch früher schon, als er noch Schauspieler war und auf den deutschen Provinzbühnen davon träumte, an den bundesrepublikanischen Theaterhimmel geschleudert zu werden. Auch da gab es Momente, wo er auf der Bühne stand – als Leonce zum Beispiel, Büchner, ›Leonce und Lena‹, Stadttheater Ulm, Ende der 90er-Jahre – und gleichzeitig das Gefühl hatte, außer sich zu sein, neben sich zu stehen und sich selbst zu beobachten. Das Bühnen-Ich, der Leonce-Plotek sagte zum Beispiel: »Ich habe das Ideal eines Frauenzimmers in mir und muss es suchen.«
    Und das daneben stehende Ich dachte, so ein Schwachsinn, so was Lächerliches: Schau dich doch an in deinem billigen Kostüm, in deiner armseligen Darstellung, da gibt es kein Ideal, da gibt es keine Frauenzimmer, da gibt es nichts, niemanden, das ist nicht großes Theater, das ist eine Bankrotterklärung an den guten Geschmack. Das sind nicht die Bretter, die die Welt bedeuten, und du bist kein Schauspieler auf dem Weg zum Zenit. Das ist eine morsche Bretterbude und du bist ein elendiger Schmierenkomödiant.
    Und wieder auf der Bühne: »Sie ist unendlich schön und unendlich geistlos.«
    Und ein ekelhaftes Lachen vom Über-Ich. Folge: Verkorkste Aufführung und zwei Wochen Krankschreibung. Psychische Probleme.
    Wie jetzt. Plotek sah sich selbst von weit weg im Flieger sitzen und über den Wolken schweben. Und das kam ihm so absurd, so lächerlich und nichtig vor, dass die Angst vor dem Absturz augenblicklich einer tiefen Depression wich. Als er sich gedanklich schon mit der Absurdität des Weiterlebens abgefunden hatte, holte ihn die durch die Lüfte sausende Realität wieder ein. Die Stimme des Piloten rief ihn zur Räson.
    »Achtung, hier spricht der Pilot, ich möchte Sie bitten, sich anzuschnallen, die Sitze hochzustellen und die Tische einzuklappen. Wir erwarten kleinere Turbulenzen, was aber den weiteren Flugverlauf höchstwahrscheinlich nicht weiter beeinflussen wird. Danke.«
    Turbulenzen?, dachte Plotek und ließ sich das Wort wie ein klebriges Kaubonbon auf der Zunge zergehen.
    »Du sollst dich anschnallen«, sagte Agnes und fummelte wieder an seinem Gurt herum.
    »Plotek! Was ist?«, meldete sich jetzt auch Arno zu Wort.
    Nichts, hätte er wieder sagen wollen.
    Sein Mund war auf einmal so trocken wie ein Staubsaugerbeutel. Er fing am ganzen Körper an zu zittern.
    »Stewardess, schnell, einen Cognac!«
    Schon stand die Stewardess wieder neben Ploteks Sitz, in der Hand einen halbvollen Becher mit Schnaps. Aber noch ehe Plotek trinken konnte, hüpfte der Cognac aus dem Becher wie ein Känguru und der Stewardess auf die Bluse, sodass sich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher