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Balla Balla

Balla Balla

Titel: Balla Balla
Autoren: Sobo Swobodnik
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hausgemacht oder nicht, woher auch immer. Erst neulich musste er wegen der Agnes eine Fränkische probieren und hatte gedacht, da ist die Schwäbische auch nicht schlimmer. Für Plotek war die Leberwurst also das, was für andere vielleicht der Besuch der Schwiegermutter war. Früher auf jeden Fall. Und heute noch mehr. Heute konnte Plotek auch all diejenigen nicht ausstehen, die sie aßen und anschließend den anderen ihre fleischige Zunge in den Rachen schieben wollten, sodass sie beinahe daran erstickten. Wie die Stangelhuber Rosi dem Plotek. Irgendwann Ende der 60er war’s, an Ostern, als die Rosi mit ihren kindskopfgroßen Brüsten und einem Schädel wie ein Schweinearsch den kleinen Plotek beim Ostereiersuchen in die Scheune hinauflockte. Hinter dem Strohballen warf sie den kleinen Plotek ins Heu, setzte sich auf ihn und drückte ihm ihr haariges Geschlecht ins Gesicht, bis ihm die Luft wegblieb. Zu seiner Überraschung roch ihr Geschlecht wie die Zunge. Wie ein ostalbschwäbisches Leberwurstbrot. Und nach einem luftschnappenden Seitenblick hätte Plotek schwören können, dass es ein Leberwurstbrot war. Dann rammte ihm die Rosi auch noch ihre dicke, pelzige Zunge in den Mund, bis er blau anlief und den Allmächtigen schon pfeifen hörte. Es war Gott sei Dank nicht der Allmächtige, sondern nur Rosis Vater, der mit seinem Holzbein über den Hof humpelte und nach dem Hund pfiff, was die Rosi dazu veranlasste, ihre eklige Zunge wieder aus seinem Mund zu ziehen. Den Leberwurstgeschmack nahm sie allerdings nicht mit. Der saß seitdem in Ploteks Backen und hielt eine widerliche Erinnerung an früher wach. Bis heute. Auch heute noch hat Plotek manchmal das Gefühl beim Küssen nach Leberwurst zu schmecken, sodass sich jegliche Lust schlagartig in Leberwurst verwandelt.
    Nicht aber bei der Agnes. Wenn Plotek Agnes küsste, schmeckte nichts nach Leberwurst. Agnes schmeckte nach seiner Lieblingsgaststätte, nach einem Schuss Rosenwasser und auch ein wenig nach Unertl-Weißbier – wie jetzt.
    Plotek schlug die Augen auf und erschrak. Der schönste Mund, den er jemals gesehen hatte, ruhte auf dem seinen und er dachte, hoffentlich hat sich jetzt nicht die Stangelhuber Rosi aus der Vergangenheit in meine Gegenwart geschmuggelt. Aber Glück gehabt. Das war nicht die Rosi, das war die Agnes. Das war die Zukunft.
    »War doch gar nicht so schlimm, oder?«, fragte Agnes und Plotek wusste nicht genau, ob sie jetzt den Kuss oder das langsame Sterben in luftiger Höhe meinte. Das war nicht nur schlimm, dachte Plotek, das war die Hölle. Da ist der Tod ein Scheißdreck dagegen. Da richtet sich die Hölle schon zu Lebzeiten in einem ein und macht es sich bequem wie die Motten in seiner Cordjacke, noch ehe das Dasein aus einem gewichen ist.
    »Da schau raus, wir sind oben!«
    Agnes zeigte zum ovalen Fenster hinaus.
    »Ist das nicht schön?«
    Schön ist vielleicht ›Blowin’ in the wind‹ on Bob Dylan nach fünf Tequila oder die kaum verhüllten Hüften von Cecilia Bartoli, ab und an auch ein Spielzug der Kicker aus Freiburg.
    Aber das? Das war eine wabernde grau-weiße Wolkenanhäufung, die aussah wie viel zu viel Badeschaum in einer Wanne, nachdem 25 dreckige Bauarbeiter darin gesessen hatten. So viel Tequila konnte man gar nicht trinken, um das schön zu finden. Nein, schön war das nicht. Beängstigend vielleicht. Ein Himmel voller Leberwurstbrote. Bedrohlich. Die in Wolken aufgelöste Rosi. Ploteks Knie schlotterten noch immer, sein Mund war trocken, die Hände zitterten wie bei einem Parkinson-Patienten und die Schweißdrüsen hatten den ersten Amoklauf hinter und vermutlich noch viele vor sich.
    Höchst bedrohlich. Da half nur noch Meditation, Ver-
    Senkung, Kontemplation und alles. Quasi eine Transplantation vom Hier und Jetzt ins Nichts und Niemals, oder konkret – weil die Wahrheit ein Hausschlappen war, in den man gerne schlüpfte – vom Flugzeug in die Bewusstseinsebene mit festem Boden unter den Füßen. Das half. Manchmal.
    Plotek konzentrierte sich auf einen Punkt in der Ferne und versuchte an nichts zu denken. Nur Atmen, ein, aus, ein, aus. Und ein. Und aus. Das half auch manchmal. Sich auf einen Punkt und den Atem konzentrieren, so lange bis sich der Atem auf den Punkt konzentriert oder der Punkt auf den Atem. Oder beide auf Plotek. Oder Nichts auf Nichts: Zen-buddhistisch jetzt, sodass schließlich der Punkt atmet oder der Atem punktet und Plotek ein- und ausatmet und in Punkte zerlegt wird. In der Praxis sah
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