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Bahnen ziehen (German Edition)

Bahnen ziehen (German Edition)

Titel: Bahnen ziehen (German Edition)
Autoren: Leanne Shapton
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folgenden Frühjahr, auf dem in verblassten weißen Buchstaben steht: TOMAC ‚ 88 Olympic Trials Team . 1988 wurden die kanadischen Qualifikationsmeisterschaften im Schwimmen auf zwei Wettkämpfe verteilt: Einer im Mai in Montreal und der zweite im August in Etobicoke, wo die Schwimmer eine zweite Chance bekamen, die Plätze der Auswahl zu füllen, die im Mai frei geblieben waren. Das blaue T-Shirt könnte von jeder der beiden Begegnungen stammen. Wenn ich versuche, mich an die Wettkämpfe zu erinnern, fällt mir nichts ein. Ich erinnere mich zwar, dass ich in Montreal war, doch es sind nur verschwommeneVignetten: wie ich neben ein paar Snack-Automaten in der Lobby der Piscine Olympique warte; die großen hell erleuchteten Damenumkleideräume, orange und gelb, und die Reihen von Badeanzügen, die zum Trocknen an den Vorhängeschlössern hingen; ein gleißender Raum voller Duschsäulen. Vor dem Wettkampf im August war ich fünfzehn geworden, doch alles, was bleibt, sind meine Zeiten im Swim Magazine und das dreiminütige Video eines meiner beiden B -Läufe im Final. Ich wurde dritte in diesem Lauf, elfte insgesamt.
    Es ist, als wären diese beiden Wettkämpfe vollkommen in Vergessenheit geraten – so wie das, was ich vorgestern zu Mittag aß. Wie etwas, das ich einmal gesagt und damit irgendjemanden beeindruckt habe, aber mich nicht erinnere, es gesagt zu haben. Ich nicke, ja, klar, und frage mich, ob er mich verwechselt. Frage mich, wie es sein kann, dass ich mich an einen Popel im Wasser viel lebhafter erinnere als an irgendein Detail meiner ersten Olympia-Qualifikationswettkämpfe.

S WEATSHIRTS
    Treffpunkt ist der Parkplatz des Square-One-Einkaufszentrums am frühen Freitagmorgen. Meine Mutter hält neben dem bunten Bus, der Abgaswolken in die eisige Luft stößt. Nachdem sie sich vergewissert hat, dass ich den Geldgürtel dabei habe (mit Klettverschluss zwischen Jogginghose und Unterhose fixiert), drückt sie mir noch einen Zwanzig-Dollar-Schein in die Hand und gibt mir einen Abschiedskuss. Ich schiebe den Koffer in den gähnenden Kofferraum des Busses, schultere den Matchbeutel, winke und steige ein. Ich habe zwei Sitze für mich. Nachdem alle Namen aufgerufen wurden, fährt der Bus über den Zubringer auf die Autobahn, und ich mache mir aus meinem Anorak und meinem Kissen ein Bett. Während der ersten Stunde erfüllen lautes Kichern, mädchenhaftes Kreischen und Popoklatschkämpfe den Bus. Lange Gliedmaßen ragen über Armlehnen und Sitze, als wir versuchen, es unseren Körpern bequem zu machen. Verblasste Sport-Logos rufen von Sweatshirts: Russell Athletics! Champion! Roots Sports! Speedo! Arena Pro! » TOMAC « ist in Dunkelblau und Gelbgrün auf Taschen, T-Shirts und Sweatshirts gedruckt. Ich trage mein Weihnachtsgeschenk, ein dickes Beaver-Canoe-Sweatshirt, das von der Wäsche noch ganz steif ist. Darin fühle ich mich sicher, habe das Gefühl, ich sehe nach etwas Erkennbarem aus.
    Ich bin dreizehn, und Sweatshirts sind meine Metrik, Sweatshirts bedeuten alles für mich. Sie stehen dafür, wer und wie ich sein will. Ich glaube an ihre Highschool-Palette von verbindendem Blau, privilegiertem Pink, Filzbuchstaben, Wappen, Mitgliedschaften, Zugehörigkeiten. Ich bin klein, aber ich hänge in L oder XL herum.
    Stunde zwei. Die Leselampen an der Decke erlöschen eine nach der anderen. Augen gehen zu, und Münder klappen auf. Ellbogen und Knie kippen. In der Luft hängt der süßlich schläfrige Geruch nach frisch ungewaschenen Kopfkissen. Die Geräusche im Bus wirken einschläfernd: einförmiges Motorenbrummen, gleichmäßiges Atmen, das Rascheln von Schulbuchseiten, das leise Scheppern aus Sony Walkmans bei voller Lautstärke.
    Wir halten auf dem Parkplatz einer Raststätte. Das Licht geht an, und die Schwimmer rühren sich. Manche greifen verschlafen nach ihren Taschen und Geldbeuteln, murmeln durcheinander:
    »Soll ich dir was ...«
    »Kannst du mir Geld leihen?«
    »Wo sind ...«
    »Gott, was stinkt hier so?«
    »Du stinkst ...«
    »Wo ist mein ...«
    »Bringst du mir Kartoffelpuffer mit?«
    Ein älterer Junge geht den Gang hinunter und boxt im Vorbeigehen gegen jede Kopflehne, in seinem Kielwasser wird schläfrig gemurrt. Die Mädchen streichen sich das strohigeHaar zurück und ziehen es durch Haargummis, schieben die Hände in Fäustlinge. Wangen und Lippen sind vom Schlafen rosig, und die Gesichter haben den innerlichen, trüben Glanz ruhender Athleten. Der Aufwachphase wohnt eine löwenhafte
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