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Bad Hair Days - das Leben ist keine Dauerwelle

Bad Hair Days - das Leben ist keine Dauerwelle

Titel: Bad Hair Days - das Leben ist keine Dauerwelle
Autoren: Ravensburger
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über meinen Kopf hinweg. Als ich noch nicht so »negativ« war, obwohl ich ihr damals viel unangenehmere Fragen gestellt habe als heute. Zum Beispiel, ob es nicht egoistisch von ihr war, allein ein Kind in die Welt zu setzen, statt darauf zu warten, dass ihr der richtige Mann begegnete.
    »Natürlich war es egoistisch, Herzchen«, hat Mum geantwortet. »Es ist immer egoistisch, Kinder in diese Welt zu setzen, aber das gilt für normale Elternpaare genauso. Die Frage ist doch nicht, ob man Kinder braucht, sondern ob man sie will. Und ich wollte dich, Süße. Du bist ein hundertprozentiges Wunschkind und wenn ich auf den ›Richtigen‹ gewartet hätte, dann wärst du jetzt nicht da. Den Richtigen gibt es nämlich nicht, wenn du mich fragst. Na ja, außer für Tante Lilah natürlich, die hat ihn gefunden.«
    Und in diesem Punkt muss ich ihr ausnahmsweise Recht geben. Ehrlich, wenn ich an die beiden Dates denke, die Mum meines Wissens in den letzten fünfzehn Jahren hatte, müsste ich vor Freude an die Decke springen, dass keiner davon mein Dad war. Mit einem dieser Blödmänner ein Kind in die Welt zu setzen, wäre viel egoistischer gewesen, als einen Dad via Samenspende sorgfältig im Internet auszuwählen.
    Aber Mum und ich reden längst nicht mehr über diese Fragen und haben inzwischen nur noch Statistenrollen in Tante Lilahs Version der Ereignisse, die sie jedes Jahr an meinem Geburtstag zum Besten gibt. Wir reden überhaupt nicht mehr richtig miteinander, meine Mum und ich.
    Im Dadbuch gibt es nur ein einziges Foto von meinem Erzeuger. Darauf ist er als kleines Baby zu sehen, wo er ein bisschen so aussieht wie Winston Churchill, mit spärlichem blondem Flaum auf dem Kopf und einem Gesicht wie eine Kartoffel. Vielleicht ist es gar nicht von meinem Dad, sondern ein x-beliebiges Babyfoto. Das Winston-Churchill-Baby hat jedenfalls keinerlei Ähnlichkeit mit mir als Baby. Ich war schon immer ziemlich klein und habe braune Augen, so wie Billy. Und ich hatte den Kopf voll schwarzer Kringellöckchen. Dunkel sind meine Haare immer noch, aber nicht mehr lockig, sondern glatt wie die von Onkel Zé.
    Wenn ich mir vorstelle, wie oft ich das Foto von »Dad« angestarrt habe – vielleicht weil ich insgeheim hoffte, irgendwann doch noch eine Ähnlichkeit zu entdecken, einen Beweis, dass ich bin wie er, fremd und anders, nicht so streitsüchtig und durchgeknallt wie Mums Familie. Das heißt nicht, dass ich meine Familie nicht liebe, aber es gibt Zeiten, da halte ich es keine fünf Minuten im selben Raum mit ihnen aus, ohne dass ich sie alle nacheinander umbringen möchte – langsam und genüsslich. Und außerhalb unserer vier Wände, also ich meine, in der Öffentlichkeit, ist es noch viel schlimmer. Ich kriege schon Pickel, wenn ich nur dran denke. Zum Beispiel im Zug, wenn der ganze Lärm immer von meiner Familie stammt, oder wenn sie im Restaurant jeden Kellner zur Verzweiflung bringen mit ihren tausend Lebensmittelallergien und sonstigen Marotten. Ich habe mal irgendwo den Spruch gehört: Familie, das sind Menschen, die täglich miteinander essen, obwohl sie sich am liebsten gegenseitig vergiften würden. Und so wie wir uns manchmal in die Wolle kriegen, kann ich das nur bestätigen.
    Ich blätterte die Seite mit dem Dadbrief auf – nur ein paar Zeilen, die er vor circa sechzehn Jahren für die Samenspender-Website geschrieben hat, um zu begründen, warum er seinen Beitrag leisten wollte. Ich weiß noch gut, wie ich früher oft stundenlang das Foto angestarrt und die Erklärung dazu gelesen habe:
    »Ehrlich gesagt, ist es ein komisches Gefühl, das hier niederzuschreiben – als würde ich einen Liebesbrief an jemanden verfassen, den ich nie gesehen habe. Aber keine Angst, ich will keine Weisheiten verbreiten, weil ich dafür weder alt noch weise genug bin. Wenn du das hier liest, wirst du vermutlich wissen wollen, wer dein biologischer Vater ist. Also, das bin ich, und einer der Hauptgründe, warum ich mich zu diesem Schritt entschlossen habe, war die Kinderlosigkeit eines befreundeten Paares, das sich verzweifelt nach einem Kind sehnte. Dadurch wurde mir zum ersten Mal bewusst, wie viele Menschen, die bestimmt tolle Eltern wären, auf Kinder verzichten müssen, weil sie keine bekommen können.
    Ich hoffe, du hattest bisher ein schönes Leben. Und bestimmt hast du längst begriffen, was ich selbst erst mühsam lernen musste: dass das Leben sehr lang und sehr seltsam, aber wunderschön ist. Ich bin stolz und
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