Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Azathoth - Vermischte Schriften

Azathoth - Vermischte Schriften

Titel: Azathoth - Vermischte Schriften
Autoren: Howard Phillips Lovecraft
Vom Netzwerk:
Angelegenheit war; denn so sehr sie auch an dem Seil zogen, gelang es den beiden muskulösen Rettungsschwimmern nicht, zu bewegen, was sich am anderen Ende befand. Vielmehr mußten sie feststellen, daß das Wesen mit gleicher oder sogar noch größerer Kraft in die entgegengesetzte Richtung zog, bis sie binnen weniger Sekunden von der merkwürdigen Kraft, die sich des angebotenen Rettungsringes bemächtigt hatte, ins Wasser gezerrt wurden.
    Einer der beiden Männer rief geistesgegenwärtig die Menge am Strand zu Hilfe und warf ihnen die noch verbliebenen Tauwindungen zu, und im Nu zogen zusammen mit den
    Rettungsschwimmern alle einigermaßen kräftigen Männer, allen voran Kapitän Orne. Mehr als ein Dutzend starker Arme legte sich jetzt mit aller Kraft verzweifelt in die angespannte, straffe Leine, doch nützte es nicht im mindesten.
    So kräftig sie auch ziehen mochten, die merkwürdige Kraft am anderen Ende war kräftiger; und da keine der beiden Seiten auch nur einen Augenblick nachließ, wurde das Tau unter der ungeheuren Anspannung straff wie Stahl. Verzehrende Neugier hatte inzwischen die sich abmühenden Teilnehmer, aber auch die Zuschauer, gepackt zu sehen, welcher Art die Kraft im Meer sein mochte. Die Vorstellung, es sei ein Ertrinkender, hatte man schon aufgegeben, und zahllose Andeutungen, es handle sich um Wale, Unterseeboote, Meeresungeheuer und Dämonen, waren jetzt im Umlauf. Hatte zunächst Mitgefühl die Retter getrieben, ließ sie jetzt die Neugier ausharren; und sie zogen mit grimmiger Entschlossenheit, um das Rätsel zu lösen.
    Da man schließlich zu der Meinung gelangte, daß ein Wal den Rettungsring verschluckt haben mußte, rief Kapitän Orne, ein geborener Anführer, den Leuten am Strand zu, man brauche ein Boot, um sich dem Leviathan zu nähern, ihn zu harpunieren und an Land zu ziehen. Mehrere Männer liefen sofort auseinander, um sich nach einem geeigneten Fahrzeug umzusehen, während andere herbeieilten, um den Kapitän an dem straffen Seil abzulösen, denn sein Platz war logischerweise bei der Bootsbesatzung, die gebildet werden sollte.
    Seine eigene Lagebeurteilung war sehr vage, und keineswegs auf Wale beschränkt, da er es schon mit einem Ungeheuer zu tun gehabt hatte, das weit seltsamer war. Er fragte sich, wie wohl die Handlungen und das Erscheinen eines erwachsenen Geschöpfes jener Spezies aussehen mochte, von dem das sechzehn Meter lange Wesen bloß der allerkleinste Abkömmling gewesen war. Und nun kam es mit entsetzlicher Plötzlichkeit zu dem entscheidenden Vorfall, der die ganze Szenerie von einer des Staunens in eine des Grauens verwandelte und der versammelten Menge, den Leuten, die sich abmühten oder nur zusahen, Furcht einjagte. Als sich Kapitän Orne umwandte, um seinen Platz am Seil zu verlassen, mußte er feststellen, daß seine Hände mit unerklärlicher Kraft festgehalten wurden, und er erkannte, daß es ihm unmöglich war, das Seil loszulassen. Seine Notlage wurde sofort offenbar, und als seine Gefährten ihre eigene Lage prüften, stellte jeder für sich dasselbe fest. Es ließ sich nicht mehr leugnen - jeder der Ziehenden fand sich in geheimnisvoller Sklaverei an das Hanfseil gebunden, mit dem sie alle langsam, entsetzlich und unaufhaltsam in das Meer hinausgezogen wurden.
    Sprachloses Entsetzen machte sich breit; ein Grauen, das die Zuschauer zu völliger Handlungsunfähigkeit erstarren und in nervliches Chaos stürzen ließ. Ihre völlige Demoralisierung spiegelt sich in den widersprüchlichen Angaben, die sie liefern, und den albernen Ausreden, die sie für ihre anscheinend gefühllose Trägheit vorbringen. Ich war einer von ihnen und weiß es daher.
    Selbst die Ziehenden erlagen nach einigen
    Verzweiflungsschreien und vergeblichen Seufzern dem lähmenden Einfluß und verfielen angesichts der unbekannten Mächte in Schweigen und Fatalismus.
    Dort standen sie im bleichen Mondlicht, stemmten sich blind gegen einen gespenstischen Untergang und zuckten einförmig vor und zurück, als ihnen das Wasser zuerst bis zu den Knien stieg, dann zu den Hüften. Als der Mond teilweise hinter einer Wolke verschwand, glich die Linie der schwankenden Männer im Halbdämmer einem unheimlichen und riesigen
    Tausendfüßler, der sich im Griff eines entsetzlichen schleichenden Todes wand.
    Straffer und immer straffer spannte sich das Seil, als der Zug in beiden Richtungen zunahm, und der Strang saugte sich ungehindert voll in den immer höher rollenden Wellen.
    Langsam stieg die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher