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Axis

Axis

Titel: Axis
Autoren: authors_sort
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fünfzig bis achtzig Kilometer hoch sein, hoch genug, dass ein Wolkenschleier seine Scheitelkurve umhüllen konnte. Aber gleichzeitig wirkte es zierlich, ja fast zerbrechlich. Wie konnte es sein eigenes Gewicht tragen? Und wichtiger noch: Warum war es hier? Was sollte es bewirken?
    Ein weiterer Windstoß peitschte die Plattform, wehte Turk die verfilzten Haare in die Augen. Ihr gefiel der Gesichtsausdruck nicht, mit dem er auf das Ding im Westen starrte. Zum ersten Mal, seit sie ihn kannte, wirkte er verloren. Verloren und ein bisschen verängstigt.
    »Wir sollten nicht hier oben bleiben«, sagte er.
    Sie war der gleichen Ansicht. Der Anblick war zwar wunderschön, aber auch unerträglich. Sie folgte Turk nach unten.
    Am Fuß der Treppe ruhten sie sich, vom Wind geschützt, aus. Eine Weile lang sagte keiner etwas.
    Schließlich griff Turk in die linke Seitentasche seiner schmutzigen Jeans und zog seinen Kompass hervor, denselben Kompass mit dem verschrammten Messinggehäuse, den er an dem Tag bei sich gehabt hatte, als er sie zum ersten Mal in die Berge geflogen hatte. Er öffnete die Abdeckung und betrachtete die sanft schwingende Nadel, als müsse er ihre Ausrichtung kontrollieren und gutheißen. Dann nahm er Lises Hand und gab ihr den Kompass.
    »Was soll das?«
    »Ich weiß nicht, ob dieser Scheißwald irgendwo ein Ende hat, aber falls ja, wirst du vermutlich einen Kompass brauchen, um hinauszufinden.«
    »Ja und? Ich gehe einfach hinter dir her. Behalte ihn.«
    »Ich möchte, dass du ihn nimmst.«
    »Aber…«
    »Komm schon, Lise. In all der Zeit, die wir zusammen sind, was hast du da je von mir bekommen? Ich möchte dir etwas schenken. Es würde mir Freude machen. Nimm’s einfach.«
    Dankbar, aber mit Unbehagen schloss sie die Hand um das kalte Gehäuse.
     
    »Ich habe über Dvali nachgedacht«, sagte Lise, als sie zum Lager zurückgingen. Sie wusste, dass sie das nicht laut aussprechen sollte, aber die vereinte Wirkung ihrer Erschöpfung, des dämmrigen Glitzerns des Waldes – der nicht gänzlich »dunkel« war, wie sie zugeben musste – und Turks merkwürdigem Geschenk machte sie etwas leichtsinnig. »Darüber, wie er seine Kommune zusammengestellt hat. Sulean Moi sagte, es habe andere derartige Versuche gegeben, aber die seien rechtzeitig unterbunden worden. Dvali muss das gewusst haben, oder?«
    »Das vermute ich.«
    »Und anscheinend hat er damit nicht hinter den Berg gehalten. Er hat eine Menge Leute ins Vertrauen gezogen. Unter anderem meinen Vater.«
    »Kann wohl nicht zu riskant gewesen sein, sonst hätten sie ihn erwischt.«
    »Er hat seine Pläne geändert. Das ist das, was er mir erzählt hat. Ursprünglich hieß es, er würde an die Westküste gehen, aber er hat sich anders entschieden, nachdem er die Universität verlassen hat.«
    »Er ist nicht dumm, Lise.«
    »Ich glaube durchaus nicht, dass er dumm ist. Ich glaube, dass er lügt. Er hatte nie die Absicht, an die Westküste zu gehen. Der Westküstenplan war eine Lüge, von Anfang an.«
    »Kann sein. Ist das irgendwie entscheidend?«
    »Das alles war darauf angelegt, jeden in die Irre zu führen, der hinter ihm her war. Aber verstehst du, was das bedeutet? Dvali wusste, dass die Genomische Sicherheit nach ihm suchte, und er muss gewusst haben, dass sie sich meinen Vater schnappen würden. Er hat mir erzählt, wie prinzipienfest mein Vater war, dass er dem MfGS nie gesagt hätte, was sie wissen wollten – es sei denn, unter massivem Zwang. Dvali hätte ihn warnen können, als er erfahren hatte, dass das MfGS in Port Magellan war. Aber er wollte nicht. Mein Vater hat Dvalis Projekt aus moralischen Gründen missbilligt – also hat Dvali ihn dem MfGS auf dem Silberteller serviert.«
    »Er kann nicht geahnt haben, dass dein Vater getötet werden würde.«
    »Aber dass es eine Möglichkeit war. Und mit Sicherheit hat er damit gerechnet, dass er gefoltert werden würde. Wenn es kein Mord war, dann etwas eine Stufe niedriger.« Mord auf Umwegen – die einzige Art von Mord, die ein Vierter begehen konnte. Lise wusste nicht, was sie mit diesen Gedanken anfangen sollte, die wie ein Buschfeuer in ihrem Innern zu brennen begonnen hatten. Konnte sie Dvali noch einmal gegenübertreten? Sollte sie ihm sagen, was sie vermutete – oder sollte sie unschuldig tun, bis sie von hier verschwinden würden? Und was dann? Gab es Gerechtigkeit für Vierte? Diane Dupree war vielleicht in der Lage, diese Frage zu beantworten, oder Sulean Moi. Falls sie noch am Leben
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