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Auszeit - Ein Schwarz Weiss Tot Krimi

Titel: Auszeit - Ein Schwarz Weiss Tot Krimi
Autoren: Deon Meyer
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Oom Johnnie, unglaublich, oder?«

    Vier Uhr morgens. Er lag neben Pearlie im Bett und konnte nicht schlafen. Sein Kopf war zu voll von dieser aufwühlenden Erfahrung. Es war jedoch nicht angenehm gewesen. Es war – mehr als seltsam. Eine Übertretung. Ein Verstoß gegen ein Naturgesetz. Nita hatte lachend behauptet, man gewöhne sich daran, als sie im Cressida saßen und sie bereits dabei war, die Fotos von ihrem Handy auf ihren Laptop zu laden. Sie war nassgeschwitzt vor lauter Anstrengung, aber zugleich noch aufgekratzt vom Adrenalin und sehr fröhlich. »Ich kann es mit anderen teilen, Oom Johnnie, das ist wirklich Wahnsinn, hast du gesehen, der Dampf über dem Kaffee, wenn man näher rangeht, sieht man die einzelnen Tröpfchen.« Und: »Ich glaube, was man in der Auszeit sagt, bleibt in der Luft hängen und die anderen hörenes, wenn man weg ist.« Sie sprudelte über vor Begeisterung, während er, müde und alt, sich auf die Straße konzentrierte. Der Kopf schwirrte ihm bei dem Versuch, das alles zu verarbeiten.
    Er hatte sie nach Stellenbosch zurückgebracht. Auf der N1 hatte sie sich die Fotos angesehen und aus den Akten vorgelesen. Sechs junge Leute, alles ehemalige Drogenabhängige, hatten 2005 je mindestens drei Wochen lang bei den Haywards gewohnt – vier Mädchen und zwei Jungen. Als sie den vorletzten Ordner öffnete, den ersten der beiden Jungen, stieß sie einen überraschten Laut aus.
    »Was ist denn?«, fragte October und blickte rasch hinüber auf den Bildschirm, erkannte aber nur Umrisse.
    »Seine Adresse … Er wohnt in Seepunt …« Und dann: »Guck doch mal, wie hübsch der ist!«
    October erhaschte einen Blick von dem Foto – ein junger Farbiger mit sanften, verletzlichen Augen.
    »Ach«, seufzte er. »Ach.«
    Allmählich fügten sich all seine Vermutungen zu einem klaren Bild zusammen, und sein Verdacht erhärtete sich.

    Am Montag um zehn nach elf saß er in der Voortrekkerstraat beim Reifenservice Tiger Wheel & Tyre in der Küche, dem einzigen Raum, in dem er ein privates Gespräch mit der Kassiererin Melissa Els führen konnte. Sie war neunzehn und hatte kurze, hellbraune Haare und ein Stacheldraht-Tattoo auf der Schulter. An einem Stachel hing ein Blutstropfen.
    »Ich bin schon seit zwanzig Monaten clean«, verteidigte sie sich.
    »Deswegen bin ich nicht hergekommen. Ich führe Ermittlungen gegen gewisse Personen, die als Pflegeeltern für Pickford House tätig waren …«
    »Pickford House!«, stieß sie mit Todesverachtung hervor.
    »Michael und Mercia Hayward«, fuhr October fort. »Kommen die Namen dir bekannt vor?«
    Ihr Blick schweifte in Richtung des kleinen Fensters, durch das man einen Stapel alter Autoreifen erkennen konnte. In ihrem Gesicht spiegelten sich heftige Gefühle wider. Langsam ballte sie die Hände zu Fäusten. Dann ließ sie den Kopf sinken, und eine Träne lief ihre Wange herunter.

    Nita rief erst um Viertel vor vier an, genau zur gleichen Zeit wie sonst an den Wochentagen.
    »Er ist es«, verkündete October. »James Daniel Fortuin.«
    »Woher weißt du das?«
    »Ich war heute Vormittag bei Melissa Els. Sie war die erste Patientin, die ich ausfindig machen konnte. Sie hat erzählt, Jimmy Fortuin sei mit ihr zusammen in Pickford House gewesen, als sie zum ersten Mal dort behandelt wurde. Sie benutzte dein Wort, um ihn zu beschreiben: abgefahren. Er muss sehr still gewesen sein und sich von den anderen abgesondert haben. Und er war der Einzige, der ›entkommen‹ konnte, wie sie es bezeichnete. Sie hat erklärt, niemand habe gewusst, wie er es angestellt habe. Die Bewachung war sehr gut, und die Zimmer der Patienten waren nachts abgeschlossen. Doch eines Morgens – wenige Tage vor seiner Entlassung – war Jimmy Fortuin plötzlich weg. Sie hat ihn nie wiedergesehen.«
    »Und die Haywards?«
    »Nita … du hast doch die Sachen auf dem Computer von Mercia Hayward gesehen … Ich will nicht um den heißen Brei herumreden: Sie haben die Jugendlichen missbraucht. Es war ihre Schuld, dass Melissa Els wieder rückfällig geworden ist.«
    »Warum haben die Jugendlichen nichts gesagt?«
    »Melissa hat versucht, sich zu wehren, aber die drogenabhängigen Jugendlichen sind oft notorische Lügner, so dass ihnen keiner glaubt.«
    Schweigend nahm Nita die Nachricht zur Kenntnis. Als sie wieder sprach, klang sie niedergeschlagen. »Und was sollen wir jetzt machen?«
    Das fragte er sich schon den ganzen Nachmittag. Denn wie stellt man jemanden, der die Zeit anzuhalten vermag,
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