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Ausgeweidet (German Edition)

Ausgeweidet (German Edition)

Titel: Ausgeweidet (German Edition)
Autoren: Brigitte Lamberts , Annette Reiter
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Diese Aktion hat sich in sein Gedächtnis eingebrannt, denn an der Zerrung im Rücken hat er noch lange Freude gehabt. Diesmal bleibt ihm nichts anderes übrig, als sich halb auf den Bürgersteig zu stellen.
    Der Petit Salon ist in einem zweistöckigen, kastenartigen Haus untergebracht. Von außen ist nichts Besonderes zu sehen. Doch im Hof steht eine alte, gut dreißig Meter hohe Kastanie, die mit zahlreichen Lichterketten geschmückt ist und atemberaubend leuchtet. Sie wählen den offiziellen Eingang, nicht die moderne, seitliche Außentreppe, die eher als Notausgang dient. Das alte Treppenhaus mit Holzstufen, die bei jedem Schritt knarren, ist in warmes Licht getaucht und mit Kerzen und roten Plastikrosen dekoriert. Als sie im ersten Stock ankommen, verstärkt sich die anheimelnde Atmosphäre, viel Rosen, viel Plüsch, viel Rot und Gold.
    Am Eingang zum Salon treffen sie auf Pascal Schmitz, den Besitzer. Nachdem sie sich vorgestellt haben, bittet er sie, sich die letzte Viertelstunde des Programms anzuschauen, dann könne er sie zu Frau Hartmann bringen. Clemens und Maria nehmen gleich an der Tür in zwei barocken Sesseln Platz. Drei Zugaben ringt der anhaltende Applaus Senta ab. Bei der letzten Zugabe, ›Lili Marleen‹, läuft Clemens ein Schauer über den Rücken, als er sich vorstellt, wie des Nachts kurz vor dem Zapfenstreich alle Soldaten des Zweiten Weltkriegs diesem Lied gelauscht haben, egal welcher Nation sie angehörten und egal an welcher Front sie kämpften. Lale Anderson machte das Lied berühmt, und nach 1944 wurde es auch von Marlene Dietrich gesungen, dem Star der US-amerikanischen Truppen. Beeindruckt muss er sich eingestehen, dass er für kurze Zeit dachte, dort auf der Bühne stünde die wahre Marlene Dietrich. Der abschließende Applaus gibt ihm Zeit, sich zu fassen. Schon taucht Pascal neben ihnen auf und geleitet die Hauptkommissare in sein Büro, das zugleich Senta Hartmanns Garderobe ist.
    Ihre Befragungen verlaufen eingespielt. Entweder Maria Esser beginnt und Clemens von Bühlow wird zum genauen Beobachter oder umgekehrt. Nach kurzer Zeit wechseln sie die Rollen und zwingen so die Befragten, sich immer wieder neu auf eine andere Person und eine andere Art der Befragung einzustellen.
    Diesmal übernimmt Clemens die Aufgabe, Senta Hartmann die Nachricht des gewaltsamen Todes ihres Ex-Mannes zu überbringen. Völlig entgeistert nimmt sie die Mitteilung auf. Sie starrt Maria und Clemens mit aufgerissenen Augen an. Keine Regung, kein Anzeichen dafür, dass sie verstanden hat. Dann löst sich langsam die Starre. Die zuvor krampfhaft ineinander verschränkten Hände gleiten auseinander, fahrig streicht sie mit den Händen über ihr Abendkleid.
    »Wo waren Sie am Freitag zwischen vierzehn und zwanzig Uhr?«, fragt Maria.
    Unkonzentriert antwortet Senta Hartmann in kurzen Sätzen. »Freitag hatte ich hier Generalprobe. Bin um neunzehn Uhr eingetroffen.«
    »Was haben Sie vorher gemacht?«, hakt Clemens nach.
    »Bis zwölf Uhr war ich bei Gericht. Dann war ich zu Hause.«
    »Die ganze Zeit?«
    »Ich war mit dem Hund draußen, habe gegessen und mich hingelegt.«
    »Und nach der Generalprobe?«, will Clemens wissen.
    »Die Generalprobe dauerte bis dreiundzwanzig Uhr, dann waren Herr Schmitz und ich noch im Bogletti . So gegen zwei war ich wieder zu Hause.«
    »Sie nehmen die Nachricht recht gefasst auf«, bemerkt Maria.
    Zum ersten Mal blickt Senta Hartmann sie direkt an.
    »Wenn Sie wüssten, was er meiner Tochter und mir angetan hat, würden Sie das verstehen.«
    »Wir müssen Sie bitten, uns in die Gerichtsmedizin zu begleiten, auch wenn es spät ist, aber ich will absolute Gewissheit haben. Morgen kommen Sie dann bitte um zehn Uhr ins Präsidium.«
    Vom Salon zu den Unikliniken ist es nicht weit, und so dauert es keine fünfzehn Minuten, bis Clemens von Bühlow mit dem Wagen von der Moorenstraße auf das Gelände der Düsseldorfer Universität einbiegt. Nachdem sie die Schranke passiert haben, fährt er den spärlich beleuchteten Weg zwischen den alten Häusern entlang, bis er vor einem mit Efeu zugewachsenen Haus anhält. Die Katakomben des Rechtsmedizinischen Instituts am hellen Tag aufzusuchen, ist schon merkwürdig genug, aber in der Nacht ist es unheimlich. Clemens drückt auf die Klingel. Es dauert nicht lange, und der diensthabende Gerichtsmediziner, Dr. Lukas Schwert, öffnet leicht verschlafen die Tür. Für Clemens ist es unverständlich, wie man hier auch nur ein Auge zubekommt.
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