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Ausgerockt - [Roman]

Ausgerockt - [Roman]

Titel: Ausgerockt - [Roman]
Autoren: FUEGO
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war es kalt und dunkel. Es roch nach Autoabgasen. Der Wind trug das Rauschen der Stadtautobahn in ein kleines verwaistes Gewerbegebiet in Bremen Grolland.
    Linus Keller mochte dieses Rauschen. Für ihn war es Akustik gewordenes Fernweh. Die Ahnung vom Leben anderer Menschen.
    Linus kettete sein Fahrrad an eine Straßenlaterne vor einem alten Bürohaus, schloss eine verkratzte und mit anarchistischen Motiven bemalte Plexiglastür auf und stieg eine breite Treppe in den ersten Stock hinauf. Nur das flackernde Licht der einzigen intakten Neonröhre beleuchtete die Stufen.
    Der Proberaum befand sich am Ende eines lang gezogenen Korridors in einem ehemaligen Großraumbüro. Der Raum war mit zwei zusätzlichen Türriegeln gesichert. Linus musste dreimal aufschließen.
    Drinnen knipste er eine alte Stehlampe an. Holger, der Schlagzeuger, hatte das antike Stück angeschleppt. Der Proberaum war ansonsten spartanisch eingerichtet, was durch das warme orangerote Licht der Lampe durchaus wirkungsvoll ausgeglichen wurde.
    Linus blieb an der Tür stehen und versuchte, sich die Kulisse genau einzuprägen. Ein Foto im Geiste, für das Archiv seiner Erinnerungen.
    Die Gitarrenverstärker standen im Halbkreis vor Holgers Schlagzeug. Jeweils vor den Verstärkern lehnten ihre Gitarren in billigen Ständern, und rote und weiße Kabel übersäten den Boden wie der kalt gewordene Rest einer Portion Spaghetti.
    Wahrscheinlich, so dachte Linus, wirst du das jetzt zum letzten Mal so sehen. Er machte ein paar Schritte durch den Raum und ließ sich auf eine leere, Kopf stehende Bierkiste sinken. Er rieb sich die Hände, legte sie ineinander, krallte sie aneinander und drehte sie, bis sie verkeilt waren.
    Sie waren The Planes . Sie hatten es besonders witzig und cool gefunden, ihr Demo-Album Planecrash zu nennen. Jetzt fand Linus es bloß noch ironisch.
    The Planes hatten mit dem Brief von Sony BMG endgültig ihren Absturz erlitten. Und es würde keine Überlebenden geben. Wie sehr hatte Linus sich gewünscht und manchmal wirklich geglaubt, dass ihr Flugzeug fliegen würde.
    Ein Scheppern erschreckte ihn.
    Holger war gegen die alte Stehlampe gestoßen, der Schirm war heruntergefallen. Er zog den Ständer samt Glühbirne vor sein Gesicht und sang in Elvis-Manier: »Well, there’s one for the Keller, two for the Blues …«
    »Du bist es.« Linus erhob sich von der Bierkiste und streckte die Hand aus, eine Geste, die Holger mit gespielter Empörung zurückwies.
    »Mann, Linus. Wir sind zu jung zum Händeschütteln. Schlag ab!« Er hielt die flache Hand in die Höhe.
    Sie waren zweiunddreißig.
    Linus versuchte einzuschlagen, sie trafen nicht richtig, die Hände rutschten lautlos aneinander vorbei. Holger ignorierte auch das, stirnrunzelnd.
    »Na also! Clap-Hands ist wieder angesagt!«
    Er ging zu seinem Schlagzeug und zog eine Flasche Bier aus einer halbvollen Kiste.
    »Dann erzähl mal. Warum diese außerordentliche Versammlung? Hattest du Sehnsucht nach der moderigen Luft hier drin?«
    Linus machte sich auch ein Bier auf und setzte sich wieder auf die Kiste. Die Raumluft war wirklich unangenehm feucht. Das Gebäude wurde im Winter kaum beheizt.
    »Wohl kaum. Eher Sehnsucht nach meiner Gitarre. Wenn überhaupt.«
    »So, so.« Holger lehnte sich an die Fensterbank hinter seinem Schlagzeug. Sie prosteten sich zu und tranken einen Schluck. Linus deutete mit der Flasche auf Holgers Beine.
    »Das ist so was von … also, ich kann dir gar nicht sagen, wie out solche Lederhosen sind. Seit mindestens zwanzig Jahren aus der Mode.«
    Holger hob gleichzeitig Schultern und Augenbrauen. »Was bedeutet das schon … Mode! Rock’n’Roll ist zeitlos, oder?«
    Linus lächelte müde.
    Holgers äußere Erscheinung hatte sich seit Ende der achtziger Jahre kaum verändert. Als sie sich kennengelernt hatten, trug Holger Jeanshosen, Jeanswesten, gerne mit aufgenähten Stickern, und dazu spitze Stiefel.
    Mitte der Neunziger hatte er eine Korrektur vorgenommen, indem er die Stiefel durch Chucks und die halblangen rot gefärbten Haare durch seine schwarze Naturpracht ersetzt hatte, aber mehr war bis heute nicht passiert. Außer, dass er nun auch noch diese geschmacklose Lederhose besaß.
    »Was ist nun so wichtig, dass ich auf meine tägliche Dosis Casting-Terror verzichten muss?«, fragte Holger grinsend.
    »Ich wollte warten, bis die anderen da sind.«
    »Muss ja sehr wichtig sein, wenn du hier so einen Brimborium machst.« Holger kniff die Augen zusammen. »Wir
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