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Ausgelöscht

Ausgelöscht

Titel: Ausgelöscht
Autoren: K Ablow
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ersten Anfall im Alter von zehn Jahren, als er sich mit der Lösung einer Gleichung herumschlug, die sein Rechentutor ihm als Aufgabe gestellt hatte, eine Gleichung, die die meisten Mathematiker überfordert hätte. Als Snow seinen Bleistift zerbrach, entschuldigte sich der Tutor dafür, zu viel von ihm verlangt zu haben. Aber dann bemerkte er, dass Snow unten auf der Seite die richtige Lösung hingekritzelt hatte – und dass seine stocksteifen Glieder zu zittern begannen.
    Seine Mutter und sein Vater befürchteten das Schlimmste – einen Gehirntumor. Doch eine eingehende neurologische Untersuchung fand keine Gewebewucherung. Es gab keine Blutung, keinen Infarkt. Ein EEG brachte die Lösung: hochamplitudige Theta-Delta-Aktivität, die sich schwerpunktmäßig in den Regionen seiner Schläfenlappen und Frontallappen ausbreitete. Mit anderen Worten: ein Gewitter ungesteuerter Gedankenblitze.
    John Snow hatte Epilepsie. Und während in seiner Kindheit Dilantin die Anfälle unter Kontrolle hielt, brauchte er am Ende seiner Highschoolzeit bereits eine Kombination aus zwei Medikamenten, um die Anfälle zumindest halbwegs in Zaum zu halten. Als er fünfunddreißig war, nahm er drei Medikamente ein und litt immer noch unter Anfällen. Je intensiver er sich auf das konzentrierte, was er liebte – das Erfinden –, desto unerbittlicher beutelte ihn die Epilepsie. Es war, als würde seine Gabe seine Krankheit verstärken. Als er fünfzig war, nahm er täglich vier Antiepileptika ein. Und selbst mit diesem Medikamentencocktail wurde er noch wenigstens ein Dutzend Mal pro Jahr von Konvulsionen geschüttelt.
    Also hatte John Snow den Plan gefasst, sein Gehirn zu reparieren. Er hatte Dutzende von Neurologie- und Neurochirurgie-Fachbüchern, wissenschaftlichen Zeitschriften und Forschungsstudien gelesen, hatte Neurologen und Neurochirurgen auf der ganzen Welt zu Rate gezogen, das Internet durchforstet, immer auf der Suche nach der Antwort auf eine einzige Frage: Welche Teile seines Gehirns müssten entfernt werden, um ihn von den kaputten Schaltkreisen zu befreien, die für seine Konvulsionen verantwortlich waren?
    Das war eine monumentale Frage, da die Schaltungen des Gehirns feucht sind. Probleme haben hier die Tendenz, durch das Gewebe zu sickern. Jede Nervenzelle im Gehirn (und es gibt über einhundert Milliarden davon) verliert und absorbiert unablässig geladene Ionen, während elektrische Impulse am Axon entlangwandern, bis sie eine Ansammlung von Synapsenendknöpfen erreichen, die Bläschen enthalten, in denen chemische Botenstoffe wie Serotin und Noradrenalin gespeichert sind, worauf diese Bläschen platzen und sich die Neurotransmitter über die nächste Nervenzelle ergießen – und so weiter und so weiter. Eine jegliches Vorstellungsvermögen übersteigende elektrochemische Reaktion, die in alle Richtungen weiterläuft.
    Doch nicht endlos. Das Gehirn besteht aus separaten Abschnitten, wie die Bundesstaaten eines Landes, mit Grenzen, die schwer zu überqueren sind, selbst für Elektrizität.
    Snow überredete seinen Neurologen, eine umfassende Kombination von EEGs, Positron-Emissions-Tomographien und Magnetresonanztomographien an ihm durchführen zu lassen, um die Quelle der Krankheit aufzuspüren. Dann schrieb er ein Softwareprogramm, das die verschiedenen Ergebnisse untereinander abglich und eine dreidimensionale Computergrafik seines Gehirns erstellte, in der die Bereiche, die am eindeutigsten für die Anfälle verantwortlich waren, rot leuchteten. Die weniger verdächtigen Bereiche leuchteten blau. Zusammengenommen umfassten sie Teile des Schläfenlappens, des Hinterhauptlappens, des Gyrus cinguli, des Mandelkernkomplexes und des Hippocampus – das war der Sammelplatz für den Neuroterrorismus, dessen Überfälle ihn geißelten.
    Als Nächstes wählte Snow seinen Neurochirurgen aus – J. T. »Jet« Heller, Medizinischer Leiter der Neurochirurgie des Massachusetts General Hospital. Heller, gerade einmal neununddreißig Jahre alt, brillant und unverfroren, hatte sich mit der erfolgreichen Trennung von am Kopf zusammengewachsenen siamesischen Zwillingen einen Namen gemacht. Er war außerdem für elegante, beinahe blutlose kryochirurgische Eingriffe berühmt, mit denen er aggressive Glioblastome entfernte, ohne das gesunde Gewebe anzurühren.
    Heller war ein Draufgänger, immer bereit, für einen Patienten durchs Feuer zu gehen und das augenscheinlich Unmögliche zu versuchen, selbst wenn es bedeutete, sich mit den
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