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Ausgeliefert: Roman (German Edition)

Ausgeliefert: Roman (German Edition)

Titel: Ausgeliefert: Roman (German Edition)
Autoren: Lee Child
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Hubschrauber flog mit der Nase nach unten in Höchstgeschwindigkeit entlang der US 93. Die sieben Passagiere saßen alle nach vorn gebeugt da und starrten auf die Straße hinunter. Sie flogen gerade über eine Ortschaft, die sich Salmon nannte. Der Pilot lieferte ständig Informationen, wie ein Fremdenführer. Die mächtige Spitze des Mount McGuire, dreitausend Meter hoch, zur Rechten. Twin Peaks, dreitausendzweihundert Meter hoch rechts von ihnen. Borah Peak, der höchste von allen, dreitausendsiebenhundertfünfzig Meter, ein Stück links. Das Flugzeug hob und senkte sich ein paar hundert Meter über dem Terrain. Raste unterhalb der Berggipfel, die Nase der Straße zugewandt, wie ein Bluthund.
    Die Zeit verstrich. Zwanzig Minuten. Dreißig. Die Straße war fast leer. Sie verband Missoula im Norden mit Twin Falls in Idaho, dreihundert Meilen südlich davon. Beides nicht gerade große Metropolen, und im übrigen war Feiertag. Nur gelegentlich war ein Personenwagen und hie und da ein Trucker zu sehen, der Überstunden machte. Kein weißer Econoline. Sie hatten zwei weiße Fahrzeuge gesichtet, aber beides waren Pickups gewesen. Und einen Lieferwagen, aber der war dunkelgrün. Sonst nichts. Kein weißer Lieferwagen. Manchmal war die Straße bis zum Horizont vor ihnen leer. Die Zeit tickte dahin. Wie eine Bombe. Vierzig Minuten. Fünfzig.
    »Ich werde jetzt Minneapolis anrufen«, sagte Webster. »Wir haben Mist gebaut.«
    McGrath wartete, hoffte. Er schüttelte den Kopf.
    »Bis jetzt noch nicht«, sagte er. »Das wäre ein Verzweiflungsschritt. Massenpanik. Können Sie sich die Menschenmengen vorstellen? Die Evakuierung? Da werden zu Dutzenden Menschen niedergetrampelt!«
    Webster spähte nach unten. Starrte eine ganze Minute die Straße an. Vierundfünfzig Minuten von den fünfzig, die sie sich als Obergrenze gesetzt hatten.
    »Sie werden etwas viel Schlimmeres erleben, als niedergetrampelt werden, falls dieser verdammte Lieferwagen bereits dort oben ist«, sagte er. »Wollen Sie sich das ausmalen?«
    Achtundfünfzig Minuten. Eine Stunde. Die Straße blieb leer.
    »Es ist noch Zeit«, sagte Garber. »San Francisco oder Minneapolis, was auch immer – er hat noch ein gehöriges Stück vor sich.«
    Er sah zu Reacher hinüber. Man konnte Vertrauen und Zweifel in seinen Augen lesen, etwa zu gleichen Teilen. Weitere Minuten strichen dahin. Eine Stunde und fünf Minuten. Die Straße war immer noch leer, bis zum fernen Horizont. Und als der dahinrasende Hubschrauber am Horizont angelangt war, hatte sich der bloß wieder weiter hinausgeschoben, war immer noch leer.
    »Er könnte überall sein«, sagte Webster. »San Francisco ist falsch, vielleicht ist Minneapolis auch falsch. Er könnte bereits in Seattle sein. Oder sonstwo.«
    »Nicht Seattle«, sagte Reacher.
    Er starrte nach vorn, in die Ferne. Angst und Panik würgten ihn. Er sah immer wieder auf die Uhr. Eine Stunde und zehn Minuten. Elf. Zwölf. Dreizehn. Vierzehn. Eine Stunde und fünfzehn Minuten. Dann lehnte er sich zurück und wurde ganz ruhig. Er hatte durchgehalten, so lange er das konnte, aber sie hatten jetzt einen Punkt erreicht, wo seine Berechnung absurd wurde. Und zum zweiten Mal an diesem Tag stellte sich jener gewaltige Explosionsknall der Bombe bei ihm ein. Er hielt die Augen weit offen, um es nicht sehen zu müssen, sah es aber trotzdem. Diesmal keine Marines, auch keine harten Männer, die in der Hitze campierten, um ihren Auftrag zu erledigen, sondern Zivilisten, Frauen und Kinder, klein und noch kleiner, in einem Stadtpark, den sie aufgesucht hatten, um sich ein Feuerwerk anzusehen, Frauen und Kinder, die in eine heiße Gaswolke verwandelt wurden und daraus als nebliger rosafarbener Tau herunterregneten, so wie seine Freunde das vor dreizehn Jahren getan hatten. Die Knochenfragmente der Kinder zischten durch die brennende Luft und trafen andere Kinder, die hundert Meter entfernt
waren. Trafen sie und bohrten sich wie Schrapnelle in ihre Leiber.
    Alle starrten ihn an. Jetzt merkte er, dass ihm Tränen über die Wangen liefen und auf sein Hemd tropften.
    »Es tut mir Leid«, sagte er.
    Alle sahen weg.
    »Ich muss ein paar Anrufe machen«, sagte Webster. »Warum ist es jetzt Minneapolis? Und warum war es vorher San Francisco.«
    »Zweigstellen der Fed«, sagte Reacher leise. »Insgesamt gibt es davon zwölf. Die beiden, die Montana am nächsten liegen, sind in San Francisco und Minneapolis. Borken hat die Federal Bank gehasst. Er hielt sie für das
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