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Aus Liebe zum Wahnsinn

Aus Liebe zum Wahnsinn

Titel: Aus Liebe zum Wahnsinn
Autoren: Georg Cadeggianini
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Hannover?, das klingt wahnsinnig, dachte ich.
    »Da können wir ja zusammen fahren.« Schließlich war ich auf dem Weg nach München: derselbe ICE , Gleis 14 .
    »Das geht leider nicht.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich fahre schwarz.«
    Okay, dachte ich sprachlos. Sie redete schon weiter, erzählte von Ägypten, vom Fahrradfahren dort, von halal-tauglichem Eis; irgendwann meinte ich, ich müsste nun los. Ticket kaufen und so.
    »Alles Gute.«
    Ich hatte mich schon umgedreht, als Ute fragte: »Willst du auch mal Eis?«
    Seitdem treffen wir uns alle paar Wochen, essen irgendwelchen arabischen Kram zusammen, und sie erzählt davon, dass sie gerade drauf und dran ist, ihren Job, ihre Sozialversicherungen, ihr Leben hier aufzugeben und ein kleines Häuschen in Ägypten baut. Sie zeigt Fotos von schiefen Wänden und Klos, die keine Türen haben. Was sie da eigentlich machen will? DVDs gucken (»Das Omen, alle drei Teile und danach: Die Zürcher Verlobung«), vielleicht ein Buch schreiben, den einzig wahren Milchreisführer durch Ägypten zum Beispiel, ein kleines Taxiunternehmen aufbauen und sich um die Mangoplantage vorm Haus kümmern, für die ihr bis dato aber noch das Geld fehlt.
    Ich bewundere Ute. Mut, Tatkraft, Selbstvertrauen bis ins letzte Gramm Körpergewicht. Und sie erzählt irre Geschichten. Zum Beispiel von ihrem ägyptischen Lover, einem Gärtner aus Luxor, Theben West, mit dem sie regelmäßig Telefonsex hat.
    Telefonsex ist etwas, was ich schon unter normalen Umständen nicht so recht verstehe. Und die Umstände von Ute und ihrem ägyptischen Gärtner sind alles andere als normal.
    Sie hockt sich dann zu Hause an den Küchentisch, zieht die Eieruhr auf 55  Minuten (eine Nachspielzeit ist hier schon mit einkalkuliert). Das Vodafone »Reiseversprechen« gilt genau für eine Stunde, ab Minute 61 wird es teuer. »Reiseversprechen« ist eine Tarifoption, gemacht für die Anrufe bei den Lieben zu Hause, wenn man seine Woche All-inclusive-Ägypten-Urlaub abfeiert und Muttertagsglückwünsche loswerden oder über den Hotelservice fluchen will. Für Menschen, die zu faul sind, eine Postkarte zu schreiben, und nicht warten können, bis sie wieder zu Hause sind.
    Ute ist anders. Sie hat die Prepaid-Karte ihrem Lover nach Ägypten geschickt. Und immer freitags um sieben steckt der ägyptische Gärtner die SIM -Card mit dem Reiseversprechen in sein Handy und wartet auf Ute mit der Eieruhr.
    Ihr Arabisch sei zwar lausig, meint Ute, untenrum aber ganz ordentlich. Und wenn sie kommen will, sagt sie ihm, er solle von seiner Zeit als Soldat in Assuan erzählen. Das mache sie richtig heiß.
     
    In unserem WG -Kühlschrank lagern jetzt also, im Fach über den Lachsweibchen, acht Töpfe Ben&Jerry’s. Ute stellt sie auf die alte Tür auf den Böcken.
    »Das muss jetzt erst mal antauen. Und ich werde dieses Rhabarberdings probieren.«
    In meinem Zimmer klingelt das Telefon.
    »Lori hat Halsweh. Mandeln und Lymphknoten dick, weiße Beläge.« Es ist Viola. Sie mache gerade noch die Steuererklärung fertig, was denn der Bewirtungsbeleg »Futuro« über 85  Euro gewesen sein könne. Nächste Woche brauche sie drei Tage zum Arbeiten, ob das gehe. Und übernächste Woche seien zwei Feste, beide außerhalb des Babyfonradius, ob ich noch Babysitterideen habe.
    »Ja, klar: drei Tage. Der arme Lori – mit Fieber? – Futuro? Ich glaube, das war ein Abend mit Axel. – Dann Babysitterideen … Eltern? Brüder? Babyfon zum Nachbarn?« Mein Kopf dreht sich ein wenig. »Bis bald«, sage ich. »Ich vermisse dich.« Ich klebe das Telefon zurück hinter die Tür, auf das breite Band Klettverschluss.
    Meine Mutter nannte Klettverschluss immer »Ruckzuck«. Keiner außerhalb der Familie hat sie je verstanden. Als kleiner Junge fürchtete ich mich im Schuhladen stets vor dem Moment, in dem meine Mutter die Verkäuferin fragen würde: »Haben Sie auch welche mit Ruckzuck?« Später lernte ich, Schnürsenkel zu Schleifen zu drapieren, und der Klettverschluss verschwand aus meinem Leben.
    Mit den eigenen Kindern kam er zurück. Und zwar nicht nur an den Schuhen, sondern überall. Handys und Geldbeutel haben einen Streifen aufgeklebt, Schlüssel, USB -Sticks und Nagelschere hängen an einem Ring, daran ein Klettverschlussstreifen. Es ist unser System, mit dem wir ein wenig Überblick über die Dinge bekommen. Die Gegenklettstreifen hängen im Büro, im WG -Zimmer, am Kinderwagen, an meiner Umhängetasche, am Handschuhfach. Ich habe sogar
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