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Aurora

Aurora

Titel: Aurora
Autoren: Robert Harris
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Schritt zu halten mit allem, was passierte – der Russe im Zug, die Aufregung, Mamantow. Er stellte fest, daß der Zug immer noch auf dem Bahnhof von Wologda stand.
    »Diese Aufnahmen – wann hätte man sie hier frühestens sehen können?«
    »Vielleicht gegen neun Uhr gestern abend.«
    »Und sie wären wie oft gesendet worden? Jede volle Stunde?«
    »Vermutlich.«
    »Also elf Stunden? Und vielleicht noch auf anderen Kanälen? Ihr Sender hat die Aufnahmen offensichtlich auch an einen russischen verkauft!«
    »Der hat sie den Russen bestimmt geschenkt, solange die angeben, von wem sie stammen. Das ist schließlich gute Reklame. CNN hat sie vermutlich auch übernommen. Und Sky. Und BBC World…«
    Er konnte seine Zufriedenheit kaum verbergen.
    »Und Sie haben auch das Interview von mir benutzt, über das Notizbuch?«
    O’Brian hob abwehrend die Hände.
    »Also, darüber weiß ich nichts. Ich meine, okay, der Sender hat es natürlich. Ich habe es zusammengeschnitten und von Moskau aus übermittelt, bevor wir abgefahren sind.«
    »Sie sind ein verantwortungsloser Dreckskerl«, sagte Kelso langsam. »Wissen Sie, daß Mamantow im Zug ist?«
    »Ja, ich habe ihn gerade gesehen.« Er warf einen nervösen Blick durchs Fenster. »Was der wohl hier will?«
    Und da war etwas in der Art, wie er das sagte – etwas Falsches in seinem Ton, der vergebliche Versuch, die Frage beiläufig klingen zu lassen –, das Kelso erstarren ließ. Nach einer langen Pause sagte er: »Hat Mamantow Sie auf die Sache angesetzt?«
    O’Brian zögerte, und Kelso merkte, wie ihm der Boden unter den Füßen weggezogen wurde wie einem Boxer, kurz bevor er endgültig auf die Bretter geht, daß er wie ein Betrunkener schwankte.
    »Sie haben mich regelrecht aufs Kreuz gelegt…«
    »Nein«, sagte O’Brian. »Das stimmt nicht. Okay, ich gebe zu, daß Mamantow mich einmal angerufen hat – ich habe erzählt, daß wir uns ein paarmal begegnet sind. Aber der ganze Rest – die Suche nach dem Notizbuch, die Reise nach Archangelsk –, nein, ich schwöre Ihnen, das waren allein wir. Sie und ich. Ich hatte keine Ahnung, was wir finden würden.«
    Kelso schloß die Augen. Es war ein Albtraum. »Wann hat er Sie angerufen?«
    »Ganz zu Anfang. Es war nur ein Tip. Er hat weder Stalin noch sonst etwas erwähnt.«
    »Ganz am Anfang?«
    »Am Abend vor unserem Zusammentreffen. Er hat gesagt:
    ›Gehen Sie mit Ihrer Kamera zum Institut für Marxismus-Leninismus‹ – Sie wissen ja, wie er redet –, ›machen Sie Dr. Kelso ausfindig, fragen Sie ihn, ob es eine Erklärung gibt, die er abgeben möchte.‹ Das war alles, was er gesagt hat. Danach hat er aufgelegt. Aber da seine Tips immer gut sind, bin ich hingegangen. Großer Gott« – er lachte –, »was dachten denn Sie, weshalb ich dort war? Um einen Haufen Historiker zu filmen, die über die Archive reden? So blöd bin ich nun wirklich nicht!«
    »Sie verantwortungsloser, hinterhältiger, gottverdammter Dreckskerl…«
    Kelso trat weiter ins Abteil hinein, und O’Brian wich zurück. Aber Kelso ignorierte ihn. Er hatte eine bessere Idee. Er zerrte seine Jacke von der Gepäckablage herunter.
    »Was haben Sie vor?« sagte O’Brian.
    »Das, was ich von Anfang an hätte tun sollen, wenn ich die Wahrheit gekannt hätte. Ich werde dieses verdammte Notizbuch vernichten.«
    Er wickelte die Mappe aus der Jacke aus.
    »Aber dann machen Sie alles kaputt«, protestierte O’Brian.
    »Kein Notizbuch – kein Beweis – keine Story. Dann stehen wir wie komplette Arschlöcher da.«
    »Gut.«
    »Ich glaube nicht, daß ich das zulassen kann…«
    »Versuchen Sie doch, mich daran zu hindern…«
    Es war ebenso sehr der Schlag selbst wie auch seine Wucht, die ihn zu Boden schleuderten. Das Abteil drehte sich um ihn, und er lag auf dem Rücken.
    »Bringen Sie mich nicht dazu, daß ich noch einmal zuschlagen muß«, sagte O’Brian, der über ihm aufragte. »Bitte, Fluke. Dazu sind Sie mir zu sympathisch.«
    Er hielt ihm die Hand hin, aber Kelso rollte sich herum. Er bekam keine Luft. Sein Gesicht lag im Staub. Unter seinen Händen konnte er die starken Vibrationen der Lokomotive spüren. Er legte die Finger an den Mund und berührte seine Lippe. Sie blutete ein wenig. Er konnte Salz schmecken. Die schwere Antriebsmaschine wurde nochmals hochgejagt, als hätte der Lokführer das Warten satt, aber der Zug rührte sich auch jetzt noch nicht von der Stelle.

33. Kapitel
    In Moskau mühte sich Oberst Juri Arsenjew mit der Technik ab. Er
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