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Augenzeugen

Augenzeugen

Titel: Augenzeugen
Autoren: Hiltrud Leenders , Michael Bay , Artur Leenders
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Schröderstraße jemals zu Hause fühlen würde?
    Endlich konnte er sich in den dichten Verkehr Richtung Kleve einfädeln.
    Er dachte an ihre Wohngemeinschaft auf dem Bauernhof zurück, die sie hatten aufgeben müssen, und spürte einen Anflug von Wehmut. Die WG, die ihn in dieser Kleinstadt so in Verruf gebracht hatte: er zusammen mit seiner Geliebten Astrid Steendijk, mit seiner Ex-Frau Gabi und den beiden Söhnen. Helmut Toppe, der Casanova, der gleich zwei Frauen hatte. Tja …
    Als Gabi und er sich getrennt hatten, war er schon eine ganze Weile mit Astrid zusammen gewesen, die als Küken ins KK 11 gekommen war. Dass die beiden Frauen hinter seinem Rücken Freundinnen geworden waren, hatte ihn schockiert und verunsichert. Er hatte sich verraten gefühlt. Und als sie ihm dann auch noch stolz den Bauernhof präsentierten, den man günstig kaufen konnte, und mit der Wohngemeinschaftsidee gekommen waren – weil es doch viel besser war für die Kinder und überhaupt ein großes Abenteuer –, hatte er alle Stacheln aufgestellt. Und dann war es die beste Zeit seines Lebens geworden. Auch als Henry dazugekommen war, Gabis neuer Freund, und natürlich Katharina, die Tochter, die Astrid und er nur halb geplant in die Welt gesetzt hatten.
    Nach der Kurve hinter Warbeyen tauchten plötzlich die vertrauten Silhouetten der Schwanenburg und der Stiftskirche vor ihm auf, hoch oben auf dem Berg, der sich, wenn man vom Rhein her auf die Stadt zufuhr, ganz unvermittelt aus der Niederung erhob.
    Seit fast dreißig Jahren lebte er jetzt in Kleve. Entwickelte er so langsam Heimatgefühle?
    Er hatte ihren Bauernhof gemocht, das Haus, den alten Obsthof, den Gemüsegarten, die Schafe, die Hühner und besonders sein Zimmer mit dem großen Kamin und all seinen Büchern. Die Küche, in der jeder mal für alle gekocht hatte, in der man zusammenkam. Das Provisorische, das Unberechenbare. Christian und Oliver, seine beiden Jungen, waren nacheinander aus dem Haus gegangen, aber das hatte nicht allzu viel verändert. Vor fünf Monaten hatte man Henry eine Stelle in Wien angeboten, die er nicht ausschlagen wollte, und Gabi war ihm mit Freuden gefolgt. Von nichts auf gleich hatten sie den Hof verkauft, und von dem, was nach dem Abzahlen der Schulden für ihn und Astrid übrig geblieben war, hatten sie sich so gerade eben das kleine Reihenhaus leisten können.
    Als er in die Schröderstraße einbog, wurde ihm die Kehle eng: fünfundfünfzig Jahre alt, und er war wieder genau dort, wo er vor mehr als zwanzig Jahren schon einmal gewesen war, Vater, Mutter, Kind, vier Zimmer, Küche, Diele, Bad und Gästeklo.
    Er ließ den Wagen neben dem winzigen Vorgarten ausrollen, der mit seiner Konifere und den drei verhungerten Dahlienstauden noch deutlich die Handschrift des Vorbesitzers trug.
    Als er ausstieg, schallte ihm Astrids gereizte Stimme vom offenen Badezimmerfenster oben entgegen: «Jetzt bleib bitte da sitzen und rühr dich nicht!»
    Dann seine fröhliche Tochter: «Fein gemacht?»
    «Nein, das hast du gar nicht fein gemacht, verdammt nochmal!»
    Toppe seufzte stumm und schloss die Haustür auf – braunes Alu mit Strukturglas.
    «Helmut? Komm rauf und hilf mir! Katharina hat das ganze Bad unter Wasser gesetzt. Und bring noch einen Aufnehmer mit.»
    Astrid hockte auf dem Boden, klatschte den Aufnehmer in die Überschwemmung und wrang ihn über dem roten Eimer aus. Sie trug nur ein T-Shirt und einen knappen Slip, ihr langes, dunkles Haar war zerzaust, und er spürte, wie Begehren in ihm aufflackerte.
    Katharina saß, rosig und feucht, eingemummelt in ein Badetuch, auf dem Klodeckel und baumelte mit den Beinen. «Mama is sauer», stellte sie sachlich fest.
    «Das kann man wohl sagen!» Astrid funkelte Toppe so wütend an, dass dieser schnell sein Jackett auszog, es über das Treppengeländer warf und den zweiten Aufnehmer zückte.
    «Wie ist das denn passiert?»
    «Na, wie schon? Ich setze sie in die Wanne, und natürlich klingelt das Telefon. Ich war höchstens drei Minuten draußen, aber in der Zeit hat deine Tochter beschlossen, die Wanne müsse mal ordentlich geputzt werden, und zwar von außen, mit der Brause!»
    «Warum hast du denn mit dem Baden nicht gewartet, bis ich komme? Wir gehen doch gern zusammen in die Wanne.» Toppe verkniff es sich, seiner Tochter zuzuzwinkern.
    Astrid strich sich eine nasse Haarsträhne aus dem Gesicht und sah ihn an. «Ich hatte heute einfach keine Lust auf ein langes Gesicht. Du kannst es doch nicht leiden,
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