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Auge des Mondes

Titel: Auge des Mondes
Autoren: Brigitte Riebe
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sie umringt. »Habt ihr Lust, es zu hören?« Da kamen bereits die nächsten, neugierig und aufmerksam.
    Mina spürte, wie sie innerlich ruhiger wurde. Andere mochten fluchen und trinken oder so lange hin und her rennen, bis das böse Feuer aus ihrem Körper entwichen war, für sie gab es nur eine einzige Art, wieder mit sich ins Reine zu kommen. Sie atmete tief aus und begann zu erzählen.
    » Als die Schwalbe am Ufer ihre Jungen ausgebrütet hatte und wegflog, um Futter für die Kleinen zu holen, bat sie das Meer: ›Hüte meine Jungen, bis ich wieder zurück bin!‹
    So machte sie es von da an jeden Tag.
    Doch es geschah eines Morgens, dass das Meer ihre Bitte nicht mehr beachtete. Es stieg an mit großem Tosen und riss die Schwalbenjungen mit sich fort. Als die Schwalbe mit vollem Schnabel zurückkehrte, waren ihre Kinder verschwunden. Sie wusste sofort, was geschehen war.
    ›Gib mir meine Jungen wieder!‹, sagte sie zu dem Meer. ›Wenn du sie mir nicht wiedergibst, dann werde ich dich ausschöpfen und forttragen. Mit dem Schnabel werde ich dich schöpfen, und ich werde dich auf den Sand gießen.‹
    Das Meer lachte und rauschte und tat, was immer es tun wollte. Eine einzelne Schwalbe - wer konnte und wollte ihre Drohungen schon ernst nehmen?
    Da begann die Schwalbe das zu tun, was sie gesagt hatte. Doch sie blieb nicht allein, Hunderte, nein Tausende von Schwalben kamen, Abertausende, und das jahrelang. Und sie taten, was die Schwalbe gesagt hatte: Sie füllten ihre Schnäbel mit Sand und schütteten ihn ins Meer; danach füllten sie ihre Schnäbel mit Wasser und gossen es auf den Sand.«
    Es war sehr still um Mina herum geworden, als sie innegehalten hatte. Kaum Beifall, aber nicht, weil das Märchen den Frauen nicht gefallen hatte. Nein, nachdenklich hatte es die Frauen gemacht; manche sahen auf einmal beinahe traurig aus.
    »Was ist mit dem Meer passiert?«, erhob schließlich die erste Zuhörerin mutig die Stimme.
    »Da, wo einst das Meer war, erstreckt sich jetzt eine riesige Wüste«, sagte Mina. »Und dort, wo einst Sand war, rauschen heute die Fluten des unendlichen Meeres.«
    »Das klingt ja, als sei alles beim Alten geblieben.« Die junge Frau in der ersten Reihe klang enttäuscht.
    »Da irrst du dich gewaltig«, sagte Mina. »Alles verändert sich. Nichts wird mehr sein, wie es einst war.«

    Als Tama wieder lauthals zu keifen anfing, schlich Rahotep heimlich aus dem Haus. Schon seit Tagen fiel es ihm immer schwerer, ihre Gemüts- und Stimmlage zu ertragen. Als Ameni noch bei ihnen gewohnt hatte, war es einfacher gewesen, das war ihm inzwischen klar geworden. Nicht, dass der Junge jemals viel gegen seine Mutter unternommen hätte, das war nicht seine Art - aber sein leichtes Hochziehen der Braue, sein ironisches Verziehen der Mundwinkel bei Tamas Ausfällen hatten genügt, dass Rahotep sich verstanden fühlte.
    Diese Zeiten waren nun vorbei.
    Er vermisste seinen Sohn, das merkte Rahotep auch jetzt bei jedem Schritt, den er auf den überfüllten Straßen machte. Ameni fehlte ihm, als hätte ihm jemand ein ordentliches Stück aus den Rippen geschnitten. Er war doch sein Fleisch und Blut! Wie hatte Mina es nur gelingen können, ihn unbemerkt auf ihre Seite zu ziehen?
    Immer mehr Frauen kamen Rahotep entgegen oder überholten ihn, Frauen von so unterschiedlichem Aussehen, dass seine Gedanken und Fantasien für einige Zeit abgelenkt wurden. Bald jedoch war es wieder seine eigene Frau, um die sein Denken kreiste.
    Wie hatte es geschehen können, dass sie sich derart auseinandergelebt hatten? Anfangs waren sie doch unzertrennlich gewesen, ein junges, verliebtes Paar, so vernarrt ineinander, dass sie kaum die Hände von dem anderen lassen konnten. Dann war ihnen zu ihrer beider Freude dieser wunderbare kleine Junge geboren worden, und das Glück schien so unermesslich, dass sie es kaum hatten fassen können.
    Rahotep blinzelte stark, hatte plötzlich Tränen in den Augen. Wo war sie geblieben, seine heißblütige, stets liebeshungrige Braut? Wo war sie heute, die sanfte, runde, weiche Taube seiner frühen Ehejahre? Was hatte Tama zu dieser dürren, scharfzüngigen Alten werden lassen, die er nun am liebsten floh?
    »So einsam, schöner Mann?« Die Frau, die ihn mit ihren weißen Zähnen verführerisch anlächelte, hätte seine Tochter sein können, doch daran wollte Rahotep jetzt nicht denken.
    »Ja, das bin ich«, hörte er sich zu seiner Verblüffung antworten.
    »Dann sollten wir schnellstens etwas
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