Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Auferstehung 3. Band (German Edition)

Auferstehung 3. Band (German Edition)

Titel: Auferstehung 3. Band (German Edition)
Autoren: Lew Tolstoi
Vom Netzwerk:
verheiraten! Sie will mein Opfer nicht, sondern zieht es vor, sich selbst zu opfern; denn ihre Verheiratung hätte in ihrer Lage viele Vorteile für sie. Ich aber kann nicht dulden, daß sie sich opfert, und darum reise ich jetzt mit ihr; ich gehe, wohin sie geht, und werde mit allen meinen Kräften versuchen, ihr zu helfen und ihr Schicksal zu lindern.«
    Natalia Iwanowna erwiderte kein Wort. Die alte Wirtschafterin schüttelte verzweifelt den Kopf und sah abwechselnd Nechludoff und seine Schwester an. In diesem Augenblick zeigte sich der feierliche Zug von neuem an der Thür des Damensalons. Der schöne Kammerdiener Philipp und der Portier mit der gallonnierten Mütze trugen die alte Fürstin fort, um sie in ihren Waggon zu bringen. In der Mitte des Saales gebot die alte Dame den Trägern Halt, gab Nechludoff ein Zeichen, näherzutreten, und reichte ihm furchtsam ihre mit Ringen überladene weiße Hand, als wolle sie ihn auffordern, sie nur vorsichtig zu drücken.
    »Welche entsetzliche Hitze!« sagte sie. »Das ist eine Qual für mich. Dieses Klima tötet mich!«
    Als sie genügend über ihre Gesundheit und das Klima gejammert, gab sie den Trägern ein Zeichen, sich wieder auf den Weg zu machen.
    »Sie werden uns doch sicher auf dem Lande besuchen, nicht wahr?« sagte sie noch zu Nechludoff, indem sie ihr langes Gesicht mit einem Lächeln ihrer falschen Zähne nach ihm umwandte.
    Nechludoff ging auf den Perron. Der Zug des Fürsten wandte sich nach rechts, den Waggons erster Klasse zu. Nechludoff ging in Begleitung Taraß', des Mannes der Fedossja, der seine Reisetasche auf der Schulter trug, nach der andern Seite. Ein Gepäckträger, der Nechludoffs Sachen in der Hand hielt, folgte ihnen.
    »Siehst du, das ist mein Reisegefährte,« sagte Nechludoff zu seiner Schwester und deutete auf Taraß, dessen Geschichte er ihr eben erzählt hatte.
    »Wie? Darin willst du reisen?« sagte Natalia Iwanowna, als sie sah, wie ihr Bruder vor einem Wagen dritter Klasse stehen blieb und dem Gepäckträger ein Zeichen gab, seine Sachen dort hineinzustellen.
    »Allerdings; es ist mir angenehmer, und dann will ich auch bei diesem braven Manne bleiben,« versetzte er.
    »Höre noch das Eine,« fuhr er nach kurzer Pause fort, »meine Besitzungen in Kuzminskoja habe ich den Bauern nicht gegeben, also fallen sie, wenn ich sterbe, deinen Kindern zu.«
    »Ich bitte dich, Dimitri, sprich nicht davon,« sagte Natalia Iwanowna.
    »Und wenn ich mich verheirate ... nun, dann auch ... denn Kinder werde ich nicht haben ...«
    »Ich bitte dich, sprich nicht davon!« wiederholte Natalia Iwanowna, doch Nechludoff sah an ihren Augen, daß ihr das, was er eben gesagt, Vergnügen bereitete.
    Am äußersten Ende des Waggons hatte sich vor dem Coupé, in das die Fürstin Kortschagin gestiegen war, eine Gruppe Neugieriger gebildet. Doch fast alle Reisenden hatten sich schon auf ihre Plätze gesetzt; nur einige Nachzügler kamen, über die Stufen springend, herbeigelaufen; die Schaffner schlossen die Thüren, Nechludoff stieg in den Waggon und setzte sich ans Fenster.
    Natalia Iwanowna blieb in Begleitung Agrippina Petrownas auf dem Perron stehen. Da sie sich in ihrer eleganten Toilette und ihrem Hute nach der letzten Mode hier offenbar unbehaglich fühlte, so suchte sie einen Gesprächsstoff, fand aber keinen. Sie konnte ihren Bruder nicht bitten, er solle ihr schreiben, denn jeder regelmäßige Briefwechsel hatte schon seit langer Zeit zwischen ihnen aufgehört. Außerdem hatte auch die Unterhaltung über die Geldfrage und die Erbschaft sozusagen den ganzen Rest geschwisterlicher Beziehungen vernichtet, und sie standen sich jetzt gänzlich fremd gegenüber.
    Daher war Natalia Iwanowna im Grunde ihres Herzens glücklich, als sich der Zug in Bewegung setzte und sie ihrem Bruder kopfnickend und lächelnd: »Leb' wohl, leb' wohl, Dimitri!« zurufen konnte. Sobald der Zug sich entfernt hatte, dachte sie nur noch daran, wie sie ihrem Manne alle Einzelheiten der Unterhaltung erzählen sollte.
    Auch Nechludoff fühlte sich, obwohl er für seine Schwester nur gute Gefühle empfand, obwohl er ihr durchaus nichts zu verbergen hatte, in ihrem Beisein verlassen, und wünschte sehnlichst, von ihr getrennt zu werden. Er hatte das Gefühl, von der Natascha, die ihm früher so nahe gestanden, wäre nichts mehr vorhanden. Seine Schwester konnte ihm jetzt nur noch als die Sklavin eines dicken schwarzen Mannes erscheinen, der ihn anwiderte. Er hatte zu deutlich gesehen,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher