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Auferstehung

Auferstehung

Titel: Auferstehung
Autoren: Brian Lumley
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alte Gormley war dank seiner einflussreichen Freunde, seines makellosen Rufs, seiner Autorität und seines Enthusiasmus fähig gewesen, ihr entgegenzuwirken, doch es gab nicht viele Männer wie Keenan Gormley. Und jetzt noch einen weniger.
    Heute Nachmittag um vier Uhr würde man Kyle dazu auffordern, seine Position und den Wert des Dezernats und dessen Existenz zu verteidigen. Oh, sie hatten sich sehr beeilt, und Kyle glaubte, den Grund zu kennen: Nach fünfjähriger Arbeit hatte das Projekt keine Ergebnisse vorzuweisen und sollte deshalb beendet werden.
    Egal, welche Argumente er vorbrächte, sie würden ihn niederbrüllen. Der alte Gormley war in der Lage gewesen, lauter zu brüllen als sie alle zusammen; er hatte Durchsetzungsvermögen und Rückhalt besessen, doch Alec Kyle – wer war er denn schon?
    Vor seinem geistigen Auge konnte er sich die nachmittägliche Inquisition bereits vorstellen: »Ja, Herr Minister, ich bin Alec Kyle. Meine Aufgabe im Dezernat? Also, abgesehen davon, dass ich nach Sir Keenan die höchste Befehlsgewalt innehatte, war ich ... ich meine, bin ich ... ähm, ich erstelle sozusagen Prognosen ... wie bitte? Ach, das heißt, dass ich in die Zukunft blicke, Sir. Ähm, nein, ich muss zugeben, dass ich Ihnen vermutlich nicht den Gewinner des morgigen Rennens in Goodwood verraten kann. Mein Gespür ist im Allgemeinen nicht so spezifisch. Aber ...«
    Ach, es war hoffnungslos!
    Vor hundert Jahren glaubte noch niemand an Hypnose. Noch vor fünfzehn Jahren lachte man über Akupunktur. Wie also konnte Kyle hoffen, sie von der Bedeutung des Dezernats und seiner Arbeit zu überzeugen?
    Und doch verbarg sich unter all der Verzagtheit und persönlichen Trauer noch etwas anderes. Kyle wusste, was es war: seine ›Gabe‹, die ihm sagte, dass noch nicht alles verloren war, dass er sie irgendwie überzeugen und es mit dem Dezernat weitergehen würde. Deshalb war er hier: um Keenan Gormleys Habseligkeiten durchzugehen, die Verteidigung des Dezernats vorzubereiten und weiter für die Sache zu kämpfen. Und einmal mehr war Kyle erstaunt über sein sonderbares Talent, seine Fähigkeit, in die Zukunft zu blicken.
    Denn in der Tat hatte er letzte Nacht geträumt, die Antwort hier zu finden, in diesem Gebäude, unter Gormleys Unterlagen. Vielleicht war ›geträumt‹ das falsche Wort dafür: Kyles Offenbarungen – sein Blick auf zukünftige Ereignisse – kamen stets in jenen trüben Momenten zwischen Tiefschlaf und Erwachen, unmittelbar vor dem vollen Bewusstwerden. Der Lärm seines Weckers konnte das auslösen, oder auch der erste Strahl des Tageslichtes durchs Fenster. So war es an diesem Morgen gewesen: Das graue Licht eines grauen Tages drang ins Zimmer und durch seine Augenlider, um seinem umherschweifenden Geist die Geburt eines neuen Tages anzukündigen. Und mit ihm war eine Vision geboren worden.
    ›Flüchtiger Blick‹ ist vielleicht das bessere Wort dafür, denn das war alles, was Kyles Gabe je zugelassen hatte: kurze, flüchtige Blicke. Er wusste das – und er wusste, dass die Vision nur einmal auftauchte und dann für immer verschwand. Also hatte er sich daran geklammert, sie in sich aufgenommen. Er wagte es nicht, sich etwas entgehen zu lassen. Alles, was er je auf diese Weise ›gesehen‹ hatte, erwies sich als lebenswichtig.
    Und dieses Mal hatte er sich selbst an Keenan Gormleys Schreibtisch gesehen, wie er alle Unterlagen durchging. Die oberste Schublade zur Rechten war offen, die Unterlagen und Ordner, die vor ihm lagen, stammten aus dieser Schublade. Gormleys schwerer Sekretär stand noch unberührt an der Wand des Büros, die drei Schlüssel dazu lagen auf dem Schreibtisch, wo Kyle sie hingeworfen hatte. Jeder Schlüssel öffnete eine winzige Schublade des Sekretärs, und jede Schublade hatte ihr eigenes Kombinationsschloss. Kyle kannte diese Kombinationen, hatte sich jedoch nicht die Mühe gemacht, den Sekretär zu öffnen. Nein, denn das, wonach er suchte, war genau hier, unter jenen Dokumenten aus der Schublade.
    Als hätte diese Erkenntnis die Vision seiner selbst in Gormleys Stuhl angestachelt, hatte Kyle sich gesehen, wie er abrupt innehielt, als er auf eine bestimmte Akte stieß. Es war eine gelbe Akte, was bedeutete, dass sie ein potenzielles Mitglied der Organisation betraf. Jemand, der auf der Liste der Zukünftigen stand. Jemand, auf den Gormley sein Augenmerk gerichtet hatte. Vielleicht jemand mit einer wahren Gabe.
    Als ihm dieser Gedanke dämmerte, war Kyle einen Schritt
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