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Auferstehung 1. Band

Auferstehung 1. Band

Titel: Auferstehung 1. Band
Autoren: Leo N. Tolstoi
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Vergessen Sie es also nicht!«
    Auf der andern Seite stand:
    »Mama läßt Ihnen sagen, daß Ihr Gedeck bis zur Nacht für Sie liegen bleibt. Kommen Sie auf jeden Fall, wann es auch sein mag!
    M. K.«
    Nechludoff zog die Stirn kraus. Dieses Billet war eine Fortsetzung des Feldzuges, den die Prinzessin Kortschagin schon seit zwei Monaten unternahm, um ihn in immer schwerer zu lösende Bande einzuschnüren. Andererseits aber hatte er außer der Unentschlossenheit, die an das Cölibat gewöhnte, nur wenig verliebte Männer reiferen Alters stets vor der Ehe empfinden, noch einen andern Grund, weshalb er sich, selbst wenn er zur Ehe entschlossen gewesen wäre, nicht in diesem Augenblick hätte entscheiden können. Dieser Grund hatte natürlich mit der Thatsache, daß Nechludoff Katuscha vor acht Jahren verführt und verlassen, nichts zu thun; er dachte nicht gern daran, und nie wäre es ihm in den Sinn gekommen, hierin ein Hindernis zu seiner Heirat mit der jungen Prinzessin zu suchen. Der Grund war der, daß Nechludoff geheime Beziehungen zu einer verheirateten Frauunterhielt, die zu brechen er sich allerdings kürzlich entschlossen hatte.
    Nechludoff war sehr schüchtern den Frauen gegenüber; und gerade diese Schüchternheit hatte Maria Wassiljewna, der Frau eines Adelsmarschalls, den Wunsch eingegeben, ihn zu ihrem Sklaven zu machen. Sie hatte ihn tatsächlich in eine Liaison verstrickt, die Nechludoff täglich mehr in Anspruch nahm und ihm tagtäglich drückender wurde. Noch zuerst hatte er der Verführung nicht widerstehen können, und später konnte er sich, weil er sich ihr gegenüber schuldig fühlte, nicht entschließen, die Fesseln zu brechen, ohne daß sie damit einverstanden war. Aber anstatt sich damit einverstanden zu erklären, sagte sie ihm, sie würde sich sofort töten, wenn er sie jetzt, da sie ihm alles geopfert, im Stiche ließe.
    Unter Nechludoffs Post befand sich gerade an diesem Morgen ein Brief ihres Gatten; der Fürst erkannte die Handschrift und das Siegel. Er errötete und empfand jene Aufwallung, die er beim Nahen der Gefahr stets verspürte. Doch seine Erregung legte sich, als er den Brief geöffnet hatte. Maria Wassiljewnas Gatte, der Adelsmarschall des Bezirks, in welchem die hauptsächlichen Besitzungen der Familie Nechludoff lagen, schrieb dem Fürsten, gegen Ende Mai würde eine außerordentliche Sitzung des Rates, dem er präsidierte, abgehalten werden; er bitte ihn, derselben auf jeden Fall beizuwohnen und ihm »ein bißchen behilflich zu sein«; denn man wollte zwei sehr ernste Fragen beraten, die Schulfrage und die der Bicinalwege, und in beiden Punkten dürfte man sich auf eine lebhafte Opposition von seiten der reaktionären Partei gefaßt machen. Dieser Adelsmarschall war in der That liberal gesinnt; mit einigen anderen Liberalen derselben Art kämpfte er gegen die Reaktion, die immer stärker zu werden drohte; und dieser Kampf nahm ihn vollständig in Anspruch, so daß, er nicht einmal zu bemerken Zeit hatte, daß seine Frau ihn hinterging.
    Nechludoff erinnerte sich, welche Angst er schon so oft durchgemacht; er erinnerte sich, wie er sich eines Tages eingebildet, der Mann habe alles entdeckt und sich auf ein Duell mit ihm vorbereitet, bei dem er die Absicht gehabt, in die Luft zu schießen; er durchlebte wieder die schreckliche Szene, die er mit der Frau an jenem Tagegehabt, als sie in ihrer Verzweiflung nach dem Garten gestürzt und auf den Teich zugelaufen war, um sich darin zu ertränken.
    »Ich kann jetzt nicht hingehen und nichts unternehmen,« dachte er. Vor acht Tagen hatte er ihr einen Brief geschrieben, in welchem er sich schuldig bekannte und sich zu allem bereit erklärte, um seinen Fehler wieder gut zu machen, zum Schluß aber sagte er, ihre Beziehungen müßten im Interesse der jungen Frau auf immer aufhören. Auf diesen Brief erwartete er eine Antwort, die aber nicht kam. Das Ausbleiben der Antwort erschien ihm übrigens als ein gutes Zeichen. Wäre sie nicht auf den Bruch eingegangen, so hätte sie ihm schon lange geschrieben oder wäre selbst gekommen, wie sie es schon einmal gethan hatte. Nechludoff hatte von einem Offizier gehört, der Maria Wassiljewna den Hof machte und der Gedanke an diesen Nebenbuhler bereitete ihm Qualen der Eifersucht. Gleichzeitig aber freute er sich darüber, denn er hatte dadurch die Hoffnung, sich endlich von einer ihn drückenden Lüge befreien zu können.
    Ein anderer Brief, den Nechludoff unter seiner Post fand, war von dem
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