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Auf und ab - Mord in Hellwege

Auf und ab - Mord in Hellwege

Titel: Auf und ab - Mord in Hellwege
Autoren: Wilhelm Wuensche
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allerdings schien das Spiel nicht gesehen zu haben, obwohl sein Spielbericht diesen Eindruck erwecken sollte. Holten hatte die Mannschaft in Weiß-Blau gesehen, die Fotos aber zeigten ein Team in Rot, und auch die Beurteilung der Leistung beider Mannschaften war bei ihm anders ausgefallen.
    › Reporter ‹ , dachte er abfällig, und dass er selbst die Berichterstattung wohl besser hätte erledigen können.
    Der Rest der Zeitung war nicht sonderlich interessant.
    Als er bei den Todesanzeigen angelangt war, kam ihm, und das nicht zum ersten Mal, der unangenehme Gedanke, dass die Einschläge immer näher kamen. Wieder einmal hatte jemand das Zeitliche gesegnet, der jünger war als er. War er schon alt, oder wurde er es jetzt? Er fühlte sich nicht so, aber wann begann man alt zu werden? Und was bedeutete es überhaupt, alt zu sein? War es ein nicht mehr vorhandener Waschbrettbauch, die Unfähigkeit, die aktuelle Hitparade auswendig aufsagen zu können, oder etwas ganz anderes? Seine Mutter hatte, hoch in den Siebzigern, im Sommer eine Fahrradtour zu Verwandten unternommen, und keine Etappe war unter achtzig Kilometern gewesen. Das hätten seine Kinder, ihre Enkelkinder, sich nicht zugemutet. Er schmunzelte, als er daran dachte, dass Susanne von den Kleinen im Kindergarten, in dem sie arbeitete, manchmal › Oma ‹ genannt wurde.
    Das allmähliche Hinübergleiten in ein Nachmittagsschläfchen enthob ihn dann jedoch weiterer philosophischer Gedanken.
    »Willst du auch noch einen?«
    Holten schreckte auf. Hinter ihm stand Susanne, die beste aller Ehefrauen, mit einem Becher Kaffee in der Hand. Sie wusste natürlich, dass er zu jeder Tages- und Nachtzeit, ob heiß oder kalt, Kaffee trinken konnte und besonders morgens und nachmittags seinen Kaffee dringend brauchte, um sich wohlzufühlen, und deshalb nie »nein« sagte. Trotzdem stellte sie nach fast dreißig Jahren Ehe immer noch diese eine Frage, wenn sie selbst Kaffee trank.
    Sie war ungefähr einen Kopf kleiner als ihr Ehemann, zweifellos jedoch viel hübscher. Auch an ihr waren die Jahre nicht spurlos vorübergegangen, doch ihr Haar war noch nicht grau, und wenn sie lachte, sah sie noch jung aus. Sie war, sommerlich gekleidet, in einem leichten, geblümten Kleid nach draußen auf die Terrasse getreten und hatte die freie Hand auf seinen Unterarm gelegt, um ihn sanft zu wecken.
    Er musste wohl tief geschlafen haben, denn er hatte nicht bemerkt, wie Susanne heruntergekommen war, und das Blubbern und finale Fauchen der Kaffeemaschine hatte er auch nicht gehört.
    »Ah... ja«, murmelte er, sich nicht bewegend, und dann:
    »Haben wir noch irgenwelche Kekse oder Kuchen?«
    Das war nicht gut für die Figur, krönte aber den Genuss des Nachmittagskaffees.
    Lächelnd antwortete sie: »Natürlich.«
    Eigentlich sollte das heißen: › Ja, wir haben noch welche, aber wenn du etwas haben willst und so fragst, musst du es dir schon selbst holen. ‹
    Jetzt hatte er also falsch gefragt.
    Er hatte dieses Spielchen oft gespielt:
    Wenn sich jemand ungenau oder nicht eindeutig ausdrückte oder unpräzise fragte, legte er gern jedes Wort auf die Goldwaage, um die Zweideutigkeit sichtbar zu machen. Das waren noch Nachwirkungen seiner früheren Berufstätigkeit, der Verhöre, die er zu führen gehabt hatte. Es war ihm zum Beginn seiner Laufbahn als Kriminalbeamter einige Male passiert, dass er nach dem Auffinden einer Leiche bei der Einvernahme eines Zeugen gefragt hatte: »Wann haben Sie den Toten das letzte Mal gesehen?«
    Manche Spaßvögel antworteten dann mit »noch nie«, weil er ja vorher noch lebendig gewesen war, andere mit »eben gerade«, wenn sie vorher einen Blick auf den Verblichenen geworfen hatten.
    Er hatte sich schnell angewöhnt, präziser zu fragen, und jetzt irritierte er seine Mitmenschen manchmal damit, jedes Wort oder jeden Ausdruck auf eine Zweideutigkeit hin zu überprüfen und, sich dumm stellend, zu hinterfragen. Hin und wieder war das auch recht lustig, und manchmal spielte seine Frau das Spielchen mit.
    Dieses Mal hatte er sich falsch ausgedrückt, also verloren. Deshalb musste er noch einmal fragen, genauso, wie es gemeint war:
    »Holst du uns noch etwas?«
    »Papa, du bist ein fauler Sack«, hätte seine große emanzipierte Tochter wahrscheinlich respektlos bemerkt, wenn sie die Frage gehört hätte.
    Er hatte sich noch immer nicht bewegt, und als sie nicht antwortete, vermutete er, dass sie schon auf dem Wege war, um das Gebäck zu holen. Da konnte man
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