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Auf Treu und Glauben: Commissario Brunettis neunzehnter Fall (German Edition)

Auf Treu und Glauben: Commissario Brunettis neunzehnter Fall (German Edition)

Titel: Auf Treu und Glauben: Commissario Brunettis neunzehnter Fall (German Edition)
Autoren: Donna Leon
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daran klebte nicht Fontanas Blut, sondern nur Rost von den Gitterstäben.
    Brunetti schloss die Augen, plötzlich spürte er die Hitze in diesem Käfig, in dem sie beide gefangen waren.
    »Ich möchte Ihnen etwas zeigen, Commissario«, sagte Fulgoni mit ganz normaler Stimme. Brunetti sah zu, wie der Bankdirektor sich an dem Tuch aus seiner Brusttasche die Hände abwischte, und registrierte verwundert, wie die Hände sauberer wurden, ohne dass sich das Tuch dunkler färbte.
    Fulgoni ging an Brunetti vorbei nach hinten zu den Vogelkäfigen. Er betrachtete sie kurz, offenbar hatte er es auf einen in der unteren Reihe abgesehen, denn jetzt bückte er sich, fasste ihn mit beiden Händen und ruckelte ihn vorsichtig aus dem Stapel heraus.
    Als er ihn freibekommen hatte, stürzten die Käfige darüber wie vorhin die Kartons in die entstandene Lücke und verkeilten sich.
    Fulgoni trug den Käfig zum Tisch und stellte ihn neben den Karton. »Sehen Sie sich das an, Commissario«, sagte er und trat beiseite, um dem Licht der Lampe nicht im Weg zu stehen.
    Brunetti beugte sich darüber: ein Vogelkäfig aus Holz, aus dünnen Bambusstäben, die klassische »Made in China«-Konstruktion. Der Boden war nicht mit Zeitungspapier, sondern mit einem roten Wollstoff ausgelegt; dahinter lag noch etwas: vielleicht ein Ärmel? Ja, das war ein Ärmel, und daneben der Kragen. Also ein Pullover, ein roter Sommerpullover. Da Fulgoni reglos und schweigend neben ihm stand, konzentrierte sich Brunetti weiter auf dieses Kleidungsstück; noch war ihm nicht klar, warum er sich das ansehen sollte. Unterhalb des Kragens trat etwas hervor, ein Umriss, eine andere Farbe. Dunkler als der Rest, formlos: vielleicht ein Blumenmuster? Aber ein ziemlich großes. So etwas wie Pfingstrosen? Anemonen?
    Am Ansatz des Ärmels zeichnete sich ein zweites Muster ab, kleiner und dunkler. Trockener.
    Brunetti griff nach dem Türchen des Käfigs, doch bevor er ihn öffnen konnte, legte Fulgoni ihm eine Hand auf den Arm und sagte: »Nicht anfassen, Commissario. Sie wollen doch nicht etwa das Beweisstück verunreinigen.« Keine Spur von Sarkasmus in seiner Stimme, keine Unruhe.
    Brunetti sah den Pullover lange an, bevor er fragte: »Sie selbst haben gut aufgepasst, als Sie ihn da reingelegt haben?«
    »Ich habe ihn mit meinem Taschentuch aufgehoben, nachdem sie in die Wohnung vorausgegangen war. Ich wusste nicht, was passieren würde, wollte aber etwas haben…«
    »Ja?«, fragte Brunetti.
    »Etwas, das bezeugen konnte, was passiert war.«
    »Wollen Sie mir davon erzählen?«
    Fulgoni näherte sich der Tür, vielleicht weil dort die Luft etwas frischer war. Beide Männer schwitzten stark, und der abscheuliche, muffige Gestank der Vogelkäfige war ohnehin kaum auszuhalten.
    »Araldo und ich haben uns gegenseitig benutzt. So kann man das wohl nennen. Er hatte es gern schnell und anonym, und mir blieb nichts anderes übrig, ich musste mich damit begnügen.« Fulgoni stöhnte, und dabei geriet ihm anscheinend der von den Käfigen aufgewirbelte Staub in den Hals, denn er begann heftig zu husten. Er krümmte sich nach vorn, nahm eine Hand vor den Mund und verschmierte die Rostflecken noch mehr.
    Als er sich ausgehustet hatte, richtete er sich auf und fuhr fort: »Wir trafen uns immer hier. Araldo nannte das«, sagte er und wies mit melodramatischer Geste auf die staubigen Balken der niedrigen Decke, »unser kleines Liebesnest.« Er wischte sich mit seinem Taschentuch das Gesicht ab und verteilte so den Rost auch noch auf seiner Stirn. »Ich vermute, meine Frau hat davon gewusst. Mein Fehler war nur, anzunehmen, es mache ihr nichts aus.«
    Danach schwieg er so lange, dass Brunetti schließlich fragte: »Und an diesem Abend?«
    »War fast alles so, wie meine Frau Ihnen erzählt hat, außer dass es ihr Pullover war, der unterwegs verlorenging. Ein roter Baumwollpullover. Ich bin ihn suchen gegangen. Aber nicht bis Santa Caterina, nur über die nächste Brücke. Ich hatte unten gesehen, dass Fontanas Briefkasten offen stand: Das war unser Zeichen. Immer wenn ich mit meiner Frau nach Hause kam und das sah, ging ich unter irgendeinem Vorwand noch einmal los und läutete draußen am portone bei ihm, damit er einen Vorwand hatte, nach unten zu kommen. Und dann zogen wir uns in unsere Liebeslaube zurück.«
    »Und so war es an diesem Abend auch?«
    »Ja. Ich hatte kaum den Pullover aufs Treppengeländer gelegt, da kam Araldo auch schon runter. Es hat nie lange gedauert. Araldo wollte
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