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Auf Treu und Glauben: Commissario Brunettis neunzehnter Fall (German Edition)

Auf Treu und Glauben: Commissario Brunettis neunzehnter Fall (German Edition)

Titel: Auf Treu und Glauben: Commissario Brunettis neunzehnter Fall (German Edition)
Autoren: Donna Leon
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versprochen, es keinem zu sagen.«
    »Verstehe«, sagte Brunetti nur.
    Nachdem er vergeblich auf weitere Erklärungen gewartet hatte, bat er: »Erklär mir, was das soll. Oder was das deines Erachtens zu bedeuten hat.«
    »Du meinst die Terminverzögerungen?«
    »Ja.«
    Brunetti lehnte sich weit zurück, verschränkte die Hände hinterm Kopf und betrachtete die Decke.
    »Im Falle einer komplizierten Scheidung, wo es um viel Geld geht, kann es für die vermögendere Partei von Vorteil sein, das Verfahren zu verschleppen, um Vermögenswerte verschwinden zu lassen.« Brusca kam einer Zwischenfrage Brunettis zuvor: »Werden die Akten am Tag der Verhandlung in den falschen Gerichtssaal gebracht oder gar nicht zugestellt, kann der Richter die Verhandlung immer wieder vertagen, bis alle notwendigen Dokumente verfügbar sind.«
    »Ich glaube, allmählich sehe ich klarer«, sagte Brunetti.
    »Denk an die Gerichte, in denen du gewesen bist, Guido, und denk an die Aktenberge, die sich dort an den Wänden stapeln. Das sieht man in jedem Gerichtsgebäude.«
    »Wird das nicht alles im Computer gespeichert?«, fragte Brunetti plötzlich, als ihm die Rundschreiben des Justizministeriums einfielen.
    »Das braucht seine Zeit, Guido.«
    »Und das heißt?«
    »Das heißt, dass es Jahre dauert. Ich arbeite in der Personalabteilung, daher weiß ich, dass für diese Arbeit genau zwei Leute eingeteilt wurden: Die werden Jahre brauchen, wenn nicht Jahrzehnte. Manche von den Akten, die sie abtippen müssen, gehen bis in die fünfziger und sechziger Jahre zurück.«
    »Die Zustellung der Akten liegt in Fontanas Verantwortung?«
    »Ja.«
    »Und die Richterin?«
    »Angeblich war sie eine Zeitlang die Geliebte dieses Duckmäusers.«
    »Aber der ist doch nur ein kleiner Beamter, Herrgott noch mal. Und sie ist Richterin. Außerdem muss er doch zwanzig Jahre älter sein als sie.«
    »Ach, Guido«, sagte Brusca. Er beugte sich vor und tippte ihm mit einem Finger ans Knie. »Ich wusste gar nicht, dass du so in alten Vorstellungen befangen bist. Klassenzugehörigkeit, Altersunterschiede – was sind das für Vorurteile? Du kannst nur an Liebe, Liebe, Liebe denken. Oder an Sex, Sex, Sex.«
    »Woran sollte ich denn stattdessen denken?«, fragte Brunetti und gab sich Mühe, neugierig und nicht beleidigt zu klingen.
    »Bei Fontana«, räumte Brusca ein, »könnte man vielleicht an Liebe, Liebe, Liebe denken, zumindest nach dem, was ich gehört habe. Aber bei der Richterin wäre man besser beraten, an Geld, Geld, Geld zu denken.« Brusca seufzte und fuhr dann sachlich fort: »Ich glaube, sehr viele Leute sind mehr an Geld interessiert als an Liebe. Oder an Sex.«
    Diese Spekulationen weiterzuverfolgen war verlockend, doch Brunetti war mehr an Informationen interessiert und fragte daher: »Und Richterin Coltellini gehört auch dazu?«
    Brusca ließ alle Scherze sein und sah ihn düster an. »Sie stammt von gierigen Leuten ab, Guido.« Er verstummte und sagte dann, als sei er soeben auf die Lösung eines Rätsels gestoßen: »Schon merkwürdig. Wenn wir annehmen, dass die Liebe zur Musik oder ein Talent zum Malen sich vererben können – warum dann nicht auch Gier?« Als Brunetti dazu schwieg, fragte er: »Hast du je darüber nachgedacht, Guido?«
    »Ja«, antwortete Brunetti, und so war es auch.
    »Aha«, ließ Brusca sich vernehmen und kam vom Allgemeinen auf das Besondere: »Ihr Großvater war ein raffgieriger Mensch, und ihr Vater ist es noch heute. Sie hat das von den beiden gewissermaßen ehrlich erworben. Wäre die nicht schon tot, würde sie ihre eigene Mutter verkaufen.«
    »Bist du schon mal mit ihr aneinandergeraten?«
    »Nein, niemals«, sagte Brusca, aufrichtig erstaunt über die Frage. »Wie gesagt, ich hocke bloß in meinem winzigen Büro im Rathaus und führe die Personalakten: Wann die Leute eingestellt werden, wie viel sie verdienen, wann sie in Pension gehen. Ich mache meinen Job, die Leute reden mit mir, erzählen mir dies und das, und gelegentlich muss ich einen Anruf tätigen und eine Frage stellen. Um etwas zu klären. Und manchmal kann ich über eine Auskunft nur staunen, und dann erzählen sie mir mehr davon, oder sie erzählen mir was anderes. Im Lauf der Jahre hat es sich eingebürgert, mir alles anzuvertrauen.«
    »Sogar solche Dokumente«, sagte Brunetti.
    Brusca nickte, aber er nickte so sachlich, dass Brunetti fragte: »Weil du reinen Herzens und frommen Sinnes bist?«
    Brusca lachte, und die Stimmung im Raum lockerte sich.
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