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Auf Inseln (German Edition)

Auf Inseln (German Edition)

Titel: Auf Inseln (German Edition)
Autoren: Marcel von Treppen
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gestreut wurden. Nur das Bistum Valencia und das Bistum York praktizierten eine Liturgie in Latein. Keiner konnte dann die Schweinereien verstehen, die Priester und Messdienerinnen untereinander austauschten. Sollte jemand meine Gedanken lesen: Das war ein Witz. Ich schaute andächtig in Richtung Altar, vermeinte sechs Göttinnen wahrzunehmen, verfolgte jeden ihrer Schritte und delektierte mich an ihren Busen und Beinen. Der Priester faltete seine Hände und die sechs dunkelhaarigen Grazien knieten sich vor ihm nieder und küssten sein goldenes Kreuz, das er ihnen darbot. Sie öffneten ihre Münder, zeigten ihre Zungen und empfingen die Hostien. Damit war das Sakrament der Kommunion eröffnet. Es gab drei Anlaufstellen, für Männer, Frauen und Kinder, an denen die Hostien verteilt wurden. Selbst für einen Atheisten war es eine aufregende Sache, sich niederzuknien und einer schönen Messdienerin die Zunge entgegen zu strecken. Dabei schaute man der Ministrantin in die Augen. Ich für meinen Teil hatte immer versucht, ein Zeichen der Zuneigung für mich zu entdecken, aber vergeblich. Diese hier hatte einen großen Busen, einen religiös freizügigen Ausschnitt und ich hätte mir ein Ritual gewünscht, die Milch einer Göttin symbolisch zu kosten, nicht das Blut Christi. Ich schaute also in ihren Ausschnitt, um dann ihre geschminkten Augen zu suchen. Sie wirkten ausdruckslos und kalt. Ihre roten Lippen bewegten sich: „Nimm den Leib und das Blut Christi!“ Mehr sagte sie nicht zu mir und ich streckte ihr die Zunge entgegen. Womöglich empfindet ein Verheirateter bei solch Ritual nicht viel mehr als bei einer Arzthelferin. Ich war ein Atheist, der hin und wieder ganz gerne in die Kirche ging. Aber ich hatte sowieso keine Wahl, ein Schwänzen der Messen und Andachten war strafbar und nur durch Krankheit und andere Sonderumstände entschuldbar.
     
     
     
    Ich kannte niemand in der Kirche. In meinen Gebeten dachte ich an den prächtigen Ausschnitt und die offenen Haare, an das, was ich noch zu sehen bekäme. Scheinheilig sein war alles in unserer Gesellschaft. Nach der Messe verspürte ich einen gewissen Hunger und zugleich ein Bedürfnis nach Gesellschaft, nach Wein, Weib und Gesang, etwas, das in Athens auch nur spärlich zu finden war. Jeder, der irgendwann Urlaub in New Havanna gemacht hatte, hatte Sehnsucht nach einer wenn auch vielleicht kostspieligen Freizügigkeit, die in dieser Prüderie nicht sein durfte. Freizügigkeit war hier gefährlich, aber sie gab es, wenn auch selten. Ich wünschte mir eine scheinheilige Doppelmoral, die ein Auge zudrückte, wenn man sich vergnügen wollte. Das andere mochte das überwachende Staatsauge sein, in die Zukunft gerichtet, das Auge, das Gesetze, Moralgebote, Vorschriften las, während das erste Auge übersah oder sogar an der Lust partizipierte. Mit Moral und Scheinheiligkeit alleine hätte ich überhaupt kein Problem gehabt. Ich wäre für immer ein treuer Staatsbürger gewesen.
    Die Kneipe, in die ich wollte, war nicht weit von der Kirche entfernt und somit konnte ich mir Geld für Bus und Taxi sparen. Ich erreichte die „Gemütliche Ecke“ nach zehn Minuten und befand mich nicht im vornehmsten Teil von Athens, aber in unmittelbarer Bahnhofsnähe. Es trieb sich hier ein Völkchen rum, das trotz aller Überwachungsstrategie der Klerikalen, sich einen gewissen Freisinn erlaubte, mitunter auch Freizügigkeit, die meist kostete; manchmal auch nicht.  Gesangdarbietung und auch Tanz konnte man beiwohnen. Die Kneipe war, als ich eintrat, schon gut gefüllt. Es gab zwei Überwachungskameras und die Elektronik hatte gut zu tun, um zu registrieren, wer denn alles sich in dieser Spelunke aufhielt. Aber wenn ich es richtig verstanden hatte, galt es nur als ein bisschen subversiv, sich in solchen Lokalitäten aufzuhalten. Nur die unteren Schergen der Klerikalen mochten sich die Kneipenszenerie auf den Überwachungsmonitoren anschauen, hin und wieder gab es ja einen freien Bauchnabel zu sehen, zwar keine Ausschnitte, keine nackten Beine, aber ganz selten eine Knutscherei, die sich angetrunken nicht immer vermeiden ließ, nicht reizlos, aber an der Grenze der Subversion und an sich verboten. Hin und wieder ein Grund für eine Razzia. Die oberen Klerikalen delektierten sich bestimmt an ihren Frauen und Messdienerinnen; sie schauten uns nicht zu. Es gab viel zu beobachten in New Avignon, die Röhrenindustrie boomte. Ich orientierte mich, fand einen Platz, und als ich Gelegenheit
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