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Auf eine Zigarette mit Helmut Schmidt

Titel: Auf eine Zigarette mit Helmut Schmidt
Autoren: Giovanni di Lorenzo Helmut Schmidt
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es auch weniger, 15 Prozent. Der Rest steckt in langfristigen Papieren.
    Sie trauen der Aktie und der Hausse an den Börsen nicht?
    Nicht der Boom ist unheimlich, sondern die Aktie an sich ist ein meinem Gefühl und meinem Denken wenig entsprechendes Instrument. Als Altersvorsorge ist die Aktie unbrauchbar.
    Ist Ihnen die Zeit der Hyperinflation noch gewärtig? Sebastian Haffner schreibt in seiner »Geschichte eines Deutschen« über das Jahr 1923: »In jedem Laden, jeder Fabrik, jeder Schule wurden einem Aktientipps zugeflüstert.«
    In der Schule? Vielleicht bei Haffner damals in Berlin, für Hamburg glaube ich das nicht. Aber dieHyperinflation bis 1923 ist mir durchaus im Bewusstsein, aus zwei verschiedenen Quellen: einmal durch Eltern und Familie, zum anderen durch meine Kenntnis der Wirtschaftsgeschichte. Ich war damals fünf Jahre alt, aber an eines erinnere ich mich: Wenn mein Vater seine Lohntüte bekam, musste das Geld sofort ausgegeben werden, denn am nächsten Morgen war es schon weniger wert.
    Gibt es eine Faustregel, nach der an der Börse eine Blase entsteht – oder wieder platzt?
    Darüber müsste ich lange nachdenken, und wahrscheinlich würde ich am Ende noch genauso klug sein wie im Augenblick. Die Börsianer, heutzutage heißen sie Investmentbanker, werden solche Faustregeln für sich erfunden haben. Die müssen aber nicht richtig sein.
    Taugen die Prognosen der Analysten nichts?
    Alle ökonomischen Voraussagen sind unzuverlässig – genauso wie Wetterprognosen. Wie das Wetter morgen aussehen wird, kann man einigermaßen vorhersehen, nicht aber, was in drei Monaten sein wird. Das gilt für den mit dem Nobelpreis ausgezeichneten Ökonomen ebenso wie für die ohne Nobelpreis frei herumlaufenden Analysten.
    Was ist die größte Gefahr für die internationalen Börsen?
    Wenn es einen weltweiten Crash an den Aktienbörsen geben sollte, geht zwangsläufig die Weltkonjunktur in den Keller. Dafür kann es verschiedene Auslösergeben. Denken Sie an den Schwarzen Freitag im Jahre 1929, der eigentlich ein Donnerstag war. Innerhalb weniger Tage haben sich Banker in aller Herren Länder verhalten wie eine Herde von Schafen auf dem Deich im Vorland von Husum. Oder wie eine Herde von Gänsen auf der Insel Neuwerk. Wenn eine auffliegt, fliegen auch alle anderen 199 Gänse innerhalb von Sekunden auf. Heute hat sich die Zahl der Geldmanager verhundertfacht, aber sie können sich immer noch wie eine Herde benehmen. Die heutigen Investmentbanker, die Fondsmanager und Private-Equity-Manager und wie sie alle heißen, sind durchaus in der Lage, eine Weltrezession auszulösen.
    Und die Regierungen sind machtlos?
    Eines der entscheidenden Defizite unserer Zeit liegt darin, dass es keine weltweit vernetzt funktionierende Aufsicht über die Finanzmärkte gibt. Jede kleine Sparkasse im Landkreis Pinneberg ist von Staats wegen überwacht. Die größten Hedgefonds der Welt, tausendfach so groß wie die Sparkasse in Pinneberg, werden von niemandem überwacht.
    Sie unterstützen also die Bemühungen von Bundesfinanzminister Peer Steinbrück, wenigstens einen freiwilligen Verhaltenskodex für Hedgefonds einzuführen?
    Ja. Ich war dieser Meinung übrigens schon lange, ehe Steinbrück ins Amt kam.
    Haben Sie Hoffnung, dass dieses Vorhaben gelingt?
    Ich würde dafür kämpfen wollen, wenn ich anSteinbrücks Stelle wäre. Als Realist würde ich einen Erfolg einstweilen allerdings für sehr begrenzt halten. Das ist aber kein Grund, den Kampf aufzugeben.

    6. Juni 2007

[ Inhalt ]
    Ein Onkel in Minnesota
    Amerikaner und Antiamerikaner
    Lieber Herr Schmidt, sind die Deutschen Antiamerikaner?
    Im Prinzip nein. Wohl aber gibt es, nicht nur in Deutschland, sondern in großen Teilen Europas, eine weitverbreitete Stimmung der Ablehnung gegenüber der gegenwärtigen amerikanischen Regierung. Darunter bleibt eine erhebliche Sympathie für die amerikanische Nation, für die amerikanische Aufklärung und für die ganze amerikanische Geschichte verborgen – versteckt unter dem Ärger über Bush, Cheney und Rumsfeld.
    Sie werfen den Amerikanern seit Jahren Unilateralismus, Imperialismus, Nationalismus oder Egozentrismus vor. Leisten Sie da nicht einer amerikafeindlichen Stimmung Vorschub?
    Jedenfalls ist das nicht meine Absicht. Tatsache ist, dass die von Ihnen zitierten Tendenzen in der amerikanischen Außenpolitik immer vorhanden waren, seit dem späten 18. Jahrhundert. Dazu gehört auch immer wieder das Missionarische. Aber manchmal haben
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