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Auf den Flügeln des Adlers

Titel: Auf den Flügeln des Adlers
Autoren: Peter Watt
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sprach beruhigende Worte für seine Seele. Willie rannen Tränen über das Gesicht, während er verzweifelt versuchte zu sprechen. Doch er fühlte kein Selbstmitleid, sondern nur Frustration, weil es ihm in seinem kurzen Leben nicht gelungen war, seine Aufgabe zu erfüllen. Bevor er starb, wollte er von dem entsetzlichen Unrecht erzählen, damit es von den Lebenden nicht vergessen wurde. Als Matilda seine Geschichte hörte, weiteten sich ihre Augen vor Entsetzen. Seine Worte bestätigten für sie die grausame, ehrfurchtgebietende Macht der Traumzeit. Eine andere Erklärung konnte es nicht geben!
    In der Küche rief der Doktor die beiden eingeborenen Polizisten, die ihn begleitet hatten, zu sich und erklärte ihnen, dass sie ihren Vorgesetzten fest halten mussten, wenn er zu schneiden begann. Er hatte keinerlei Betäubungsmittel zur Verfügung und musste mit seiner chirurgischen Säge lebende Nerven durchtrennen.
    Die Männer nickten und packten den Inspektor mit festem Griff, während Mary dafür sorgte, dass genügend heißes Wasser zur Hand war. Sie war daran gewöhnt, beim Schlachten von Tieren zuzusehen, und zerlegte diese häufig selbst, aber beim Anblick des Arztes, der Skalpelle und Säge hervorzog, wurden ihr die Knie weich. Hier sollte an einem Menschen geschnitten werden, und der Schmerz würde unerträglich sein.
    »Wir brauchen etwas, auf das der Inspektor beißen kann, Missus Cameron«, sagte Doktor Blayney leise. »Ein kleiner, aber fester Stock oder etwas Ähnliches würde genügen.«
    »Der Stiel eines Holzlöffel, Doktor?«
    »Ich hoffe, der reicht«, erwiderte er, als Mary aus einem Küchenschrank einen großen Holzlöffel holte. Sie reichte ihn dem Arzt, der sich über Gordon beugte. »Klemmen Sie sich das hier zwischen die Zähne, Junge. Sie wissen schon, warum.«
    Gordon nickte zum Zeichen, dass er verstanden hatte. Seine Augen waren vor Angst weit aufgerissen, doch der Schmerz hatte einen Schleier über sie gelegt. Er wollte die Amputation hinter sich bringen.
    »Sarah?«, fragte er.
    »Ihr geht es den Umständen entsprechend gut«, erwiderte der Arzt. »Seit ich sie vor ein paar Stunden zum letzten Mal untersucht habe, ist ihr Zustand stabil geblieben.«
    Blayney schob Gordon den Stiel zwischen die Zähne und richtete seinen Rücken gerade aus. Dann überprüfte er, ob die beiden Polizisten den Patienten sicher im Griff hatten und warf Mary Cameron einen fragenden Blick zu. Sie nickte. »Ich bleibe, Doktor«, sagte sie leise. »Vielleicht brauchen Sie mich ja.«
    »Es wird kein besonders schöner Anblick werden, Missus Cameron«, warnte er. »Ihre Anwesenheit bei der Operation ist nicht unbedingt erforderlich.«
    »Danke für Ihre Rücksichtnahme, Doktor, aber ich habe mich auf das Schlimmste eingestellt.«
    »Gut.« Damit wählte er ein Skalpell aus der Sammlung chirurgischer Instrumente, die auf einem sauberen Baumwolltuch auf einer Anrichte ausgebreitet lag.
    Beim ersten Schnitt biss Gordon den Löffelstiel durch, als wäre er ein Streichholz. Sein lang gezogener Schmerzensschrei war noch in den Unterkünften der Viehhirten zu hören.
    Mary schwankte für einen kurzen Augenblick, fasste sich jedoch schnell wieder, als das Blut in einem roten Schwall aus der durchtrennten Arterie spritzte. Mit geschickter Hand verschloss Doktor Blayney, der auf den Schlachtfeldern der Kolonialkriege Englands seine Erfahrungen gesammelt hatte, die Ader mit einer Klemme. Der ehemalige Stabsarzt der viktorianischen Armee hatte zahllose Amputationen durchgeführt. Gordon konnte froh sein, dass ein Mann mit seiner Erfahrung die Operation übernahm. Er hatte sozusagen Glück im Unglück, schien das aber nicht recht zu schätzen zu wissen, als der Doktor begann, Knochen, Knorpel und Nervenenden durchzusägen.
     
    Granville White, der auf der Veranda des Hauses eine Zigarre rauchte, hörte den Schrei ebenfalls. Der Regen hatte aufgehört, und ein perfekter Morgen war angebrochen. Im Busch feierten die Würgervögel mit süßem Zwitschern die Schönheit des Landes, das bald mit Blumen und grünem Gras bedeckt sein würde, und eine Elster trällerte im goldenen Morgenlicht ihr Lied.
    Der Schrei brachte die Buschvögel für einen Augenblick zum Schweigen, doch sie erholten sich schnell von ihrem Schrecken. Selbst Granville war zusammengefahren. Wenn er doch endlich von diesem verdammten Ort verschwinden könnte! Der Agent, der ihn nach Glen View begleitet hatte, sollte ihn in einer Stunde abholen. Hoffentlich kam er
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