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Auf dem Weg zu Jakob

Auf dem Weg zu Jakob

Titel: Auf dem Weg zu Jakob
Autoren: Karin Adams
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wenn man hier mal einen Moment stehen bleibt, denn es kommen immer wieder Menschen und halten ihre Stirn gegen die Figur, die auch „Santo dos Croques“ genannt wird. Als ich erfahre, dass das mehr Intelligenz bringen soll, versuche ich es auch. Kann ja nicht schaden.
    Vollgetankt mit frischer Intelligenz inspiziere ich nun die Kathedrale und schaue mir alles genau an. So leer wie die Kirche im Moment ist, werde ich sie nie wieder erleben, aber das weiß ich natürlich zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Insgesamt wirkt die dreischiffige Kathedrale mit ihren bis zu drei Meter dicken Granitmauern sehr gleichmäßig.
    Oben in der Kuppel ist in 32 Meter Höhe der Alcachofa befestigt, der Dornenkronleuchter, der bei Festtagsmessen gegen den über einen Zentner schweren Botafumeiro ausgetauscht wird. Der Botafumeiro ist ein riesiges Weihrauchfass, das von mindestens acht Männern an einem dicken Seil längs durch das ganze Querschiff geschwenkt wird. Bei den großen Pilgermassen früher galt das Räuchern als eine Hygienemaßnahme. Schützte der Rauch jedoch nicht wirklich vor Bazillen, so machte er sicherlich die Luft etwas erträglicher, die sonst nach verschwitzen Pilgern roch. Nach Ankunft in Santiago verbrachten die Pilger früher übrigens eine ganze Nacht lang in der Kathedrale und sangen gemeinsam Lieder.
     
    Ich habe das große Glück während meines Aufenthaltes in Santiago eine Festtagsmesse erleben zu können. Die Kathedrale ist brechend voll. Pilger aller Nationen, aber ich wundere mich auch, wie viele Einheimische dabei sind, einige sogar mit ihren Einkaufstaschen beladen. Die Atmosphäre ist gar nicht wie in einer Kirche, eher wie auf einem Rummelplatz. Alle warten auf den Botafumeiro. Während der Messe wuseln Menschen herum, es wird fotografiert, und die Beichtstühle haben Hochkonjunktur. Ich verstehe die Predigt nicht, nur soviel, dass die Pilger, die es aus eigener Kraft nach Santiago geschafft haben, geehrt werden. Und dann gibt plötzlich jeder jedem in seiner unmittelbaren Umgebung die Hand und man wünscht sich Glück.
    Dann wird auch schon der Botafumeiro montiert und von den starken Männern durch das Querschiff geschwenkt. In einem Affenzahn rast der schwere Bottich durch die Luft und verbreitet überall den Weihrauch. Ich frage mich, was passiert, wenn der Botafumeiro mal abreißt. Mein Banknachbar, ein Walliser, der schon zum dritten Mal nach Santiago gelaufen ist, erzählt, dass das schon mal passiert sei und der Botafumeiro bei seinem Absturz einen Menschen erschlagen habe. Mitten im Hochaltar , der vom mexikanischen Erzbischof gestiftet wurde, steht ein Jakob aus Holz mit Pilgerstab und Kürbis. Sein Heiligenschein erinnert an eine Muschel. Er trägt ein vergoldetes Kreuzritterhemd und schaut gutmütig drein. Ein echter Pilger küsst seinen Mantel. Man hat für diesen Zweck sogar eine kleine Treppe gebaut. Als ich später noch einmal hier bin, stehen die Menschen Schlange, aber jetzt bei meinem ersten Besuch ist keiner da. Es ist ein tolles Gefühl, hinter dieser Jakobsfigur zu stehen und in das Hauptschiff der großartigen Kathedrale hinabzublicken. Ich muss die Augen zusammenkneifen, da die Jakobsfigur stark von der anderen Seite angestrahlt wird. Erst nach einem Moment haben sich meine Augen an das flutende Licht gewöhnt, das zudem noch von Jakobs metallenem Mantel reflektiert wird. Sein Mantel ist mit bunten Edelsteinen besetzt. Ich kann sie anfassen und sie sind rund und glatt. Was habe ich für ein Glück, diesen Moment nicht mit Hunderten von anderen Menschen teilen zu müssen! Doch dann kommt jemand, und ich verlasse die Hühnerstiege auf der anderen Seite. Über mir schwebt ein überdimensionaler Barockengel, fast schon ein bisschen kitschig.
    Die Krypta befindet sich unter dem Altar. Man kann hinabsteigen und die 85 kg schwere, silberne Urne anschauen, in der die Überreste des heiligen Jakobs liegen sollen. Als ich den Vorraum der Krypta betrete, werde ich Zeuge, welchen Effekt der Inhalt dieses silbernen Kastens auf eine Frau hat. Sie kniet nieder, betet und plötzlich laufen ihr die Tränen runter und fängt an ganz bitterlich zu weinen. Obwohl sie mich offenbar gar nicht wahrgenommen hat, verziehe ich mich und kehre zu einem anderen Zeitpunkt noch einmal zurück. Es ist ein bekanntes Phänomen, dass sich in religiös motivierten Pilgern eine gewisse Erwartungsspannung aufbaut, die dann am Ziel an der Urne der heiligen Jakobs, ihren Auslöser findet und sich oft in lautem
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