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Auf dem Weg zu Jakob

Auf dem Weg zu Jakob

Titel: Auf dem Weg zu Jakob
Autoren: Karin Adams
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Abschnitts dann auch bis auf Straßenebene rutschen würde, wo ich es dann, oder was davon noch brauchbar wäre, holen gehen könnte. Müsste ich das Rad nicht halten, könnte ich es vielleicht schaffen, ganz an den Hang gelehnt, mich Schritt für Schritt in den Wald zurückzuziehen.
    Ob es hier denn nicht weitergehe, oder so ähnlich, meine ich auf Französisch zu verstehen. Da hat sich plötzlich eine ganze Gruppe Leute hinter mir aufgestaut. Nein, hier kommt jetzt keiner mehr vorbei. Nach kurzem Palaver, ich verstehe kein Wort, verklickert mir einer der Männer, ich solle mal seinen Pilgerstab und Rucksack nehmen. Ja wie denn? Ich kann mich doch kaum selber halten! Er gibt seinen Rucksack einem zweiten Mann und klettert jetzt mit Hilfe seines Wanderstocks über den Hang vor mein Fahrrad und hält den Lenker fest. Dann gibt er mir seinen Stock. Ich soll das Rad loslassen. Der Stock gibt mir etwas Halt. Jetzt gibt mir der andere Mann den Rucksack und kriecht an mir vorbei.
    Jeden Moment sehe ich ihn schon den Hang hinunterfallen, aber ihm gelingt es und er packt mein Rad am Heck. Sie schaffen es tatsächlich, das Rad über diese schlimme Stelle zu ziehen, einer vor dem Rad, einer von hinten. Ich muss jetzt auch folgen, denn schließlich habe ich den Rucksack des Franzosen. Der Wanderstab ist eine große Hilfe bei dem glitschigen Untergrund. Als wir drüben wieder im bewaldeten Teil sind, sagen mir die Männer, dass der Weg für Fahrräder absolut nicht geeignet sei, auch nicht für Mountainbikes. Es ist ein Wanderweg, ein halsbrecherischer noch dazu. Räder gehören hier im Gebirge auf die Straße. Sie würden mein Rad zur Straße bringen und ich müsste versprechen, diese bis Pamplona zu benutzen. Ich verspreche es, aber noch sind wir nicht an der Straße.
    Zuvor gilt es noch das bepackte Rad ein paar Steilstufen von jeweils ein bis zwei Metern hinabzutragen. Das ist selbst für die zwei Männer schwer, sodass schließlich noch ein amerikanischer Wanderer mithilft, die Situation zu meistern. Bei dieser Aktion rutschen wir alle mehr als einmal im Schlamm aus und sehen jetzt alle aus wie die gesuhlten Schweine. Auch das Rad ist total verschlammt. Der zähe Modder klebt an der Kette, an sämtlichen Zahnrädern der Gangschaltung, an Reifen und Packtaschen sowieso.
    Unten an der Straße danke ich der Truppe ganz herzlich für die unkomplizierte, kameradschaftliche Hilfe. Ohne diese Leute wäre ich bestenfalls immer noch da oben, im schlimmsten Falle samt Fahrrad in die Tiefe gestürzt. In welcher Gefahr ich mich da oben befand, glaube ich, habe ich so richtig erst viel später begriffen, als ich über diese Situation nachgedacht und sie rekapituliert habe.
     
    Jetzt bin ich auf der Straße und ich bin erleichtert. Es regnet wieder leicht, aber das macht nichts. Das macht überhaupt nichts. Auch wenn ich die Brille putzen muss. Der Straßenbelag ist fest, die Oberfläche glatt und, am allerwichtigsten, es gibt keine Abhänge, die mir gefährlich werden können. Trotz Gepäck geht das Fahren angenehm leicht. Kein Wunder, denn es geht bergab. Zweimal kurz getreten und ich rolle.
     
    Nachdem ich mich von der ganzen morgendlichen Aufregung wieder etwas erholt habe, meldet sich der Hunger. Ich beschließe, an der Bar im nächsten Dorf einzukehren. In Navarra haben zwei Drittel aller Dörfer heute weniger als 100 Einwohner. Dies ist eines davon. Es ist winzig, verspricht aber eine Bar, die sogar geöffnet hat. Es sitzt schon ein anderer Pilger da, der sich nur etwas zu trinken bestellt hat, sich ansonsten aber aus seinem Rucksack zu verpflegen scheint. Es ist der junge Mann, der heute früh dieses karge „hola“ herausgebracht hatte. Ich bestelle einen Café con Leche, einen Milchkaffee, und ein Bocadillo con Queso, ein Käsebrötchen. Der Kaffee kommt umgehend, das Käsebrot etwas später, hat dafür aber gigantische Ausmaße. Es besteht aus einem ganzen Weißbrotlaib, längs aufgeschnitten, und ist dick mit Käse belegt.
    Ich kämpfe noch mit der zweiten Hälfte des Brotes, ein zweiter Kaffee soll mir dabei helfen, da kommen meine Retter zur Tür herein. Wir essen und trinken noch ein wenig gemeinsam, und selbst der wortkarge junge Mann taut jetzt etwas auf. Er ist aus Frankreich herübergewandert, hatte sich in langer Heimarbeit und Vorfreude seinen eigenen Wanderstock geschnitzt, ihn sogar sorgsam lackiert, nur damit er ihn auf dieser schrecklichen Wanderung durch dieses unwegsame Gelände heute morgen zerbrach, jetzt
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