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Auf dem spanischen Jakobsweg

Auf dem spanischen Jakobsweg

Titel: Auf dem spanischen Jakobsweg
Autoren: Wolfgang Dannhäuser
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Bischofs Theodomir, der das vermeintliche
Apostelgrab entdeckte. Erst bei Ausgrabungen im Jahre 1959 hat man diese Platte
gefunden.
    Abgeschlafft
vom vielen Besichtigen, haben wir uns in eine Bank der Kathedrale gesetzt, um
auch heute die Pilgermesse mitzuerleben. Und da kommt plötzlich auch er
hereingeschritten, der hochgewachsene, magere Mann mit dem etwas zerzausten
weißen Bart und den hellblauen Augen, die wohl nie lachen können: Unser Freund
Maurits aus Holland, der „Liebe Gott“, wie wir ihn heimlich nennen, hat nun
auch Santiago erreicht, ist jeden Meter von Holland bis hierher zu Fuß
gelaufen. Obwohl wir ihn, in Palas de Rei, erst vor wenigen Tagen noch gesehen
haben, ist die Freude bei ihm und bei uns groß, es ist nicht nur die Freude des
Wiedersehens, es ist vor allem auch die Freude, dass wir alle gesund Santiago
erreicht haben. Auch eine ältere Pilgerin aus Brasilien kniet plötzlich in
unserer Bank und wir begrüßen uns herzlich. Das letzte Mal war ich ihr wohl in
der Bar in Boadilla, mitten in der Meseta, begegnet, wo der elende Wirt uns
nichts zum Trinken bringen wollte.

    Am Ende der
Messe, die heute wegen einiger Wallfahrer-Busse gut besucht ist, entsteht
plötzlich starke Unruhe unter den Kirchenbesuchern, viele erheben sich erregt
von ihren Sitzen und auch ich werde aus meiner Schläfrigkeit gerissen. Vor dem
Altar, unter der Kuppel, sind unversehens acht Männer in weinroten Roben
erschienen und hantieren dort routiniert, mit fast rituellem Gestus, an einem
dicken Seil herum, das von der Kuppel herunterhängt. Tatsächlich, sie lassen,
obwohl heute kein besonderer Feiertag ist, den riesigen, 54 Kilogramm schweren
Weihrauchkessel, den „Botafumeiro“, durch die Lüfte sausen.
    Aber vorher
muss das silberne Weihrauchfass erst mal an den dicken Strang geknüpft werden,
der hier normalerweise einen großen Leuchter zu tragen hat. Danach wird der
Räucherinhalt des Fasses angezündet und dieses dann, der Linie des Querschiffes
folgend, angestoßen. Sobald es zu schwingen beginnt, ziehen die Männer in den
Roben an einem zweiten Seil, so, als würden sie eine schwere Domglocke zum
Läuten bringen wollen. Der Silberkessel, aus dem jetzt Weihrauchschwaden
herausquellen, saust nach kurzer Zeit über unsere Köpfe hinweg durch das
Querschiff der Kathedrale, seine Bogenfahrt wird ausholender und er nähert sich
an seinen beiden Endpunkten zunehmend den Deckengewölben. Während man bei
diesen Annäherungen jedesmal erwartet, dass er jetzt gleich in eines der beiden
Gewölbe einschlägt, zuckt man unwillkürlich zusammen, wenn der Dampfkessel von
den Decken zurückfährt und wie ein wütend gewordener Meteor mit langem
Rauchschweif wieder auf unsere Köpfe zusaust, wo er zur Abwechslung ja auch mal
einschlagen könnte. Aber über Jahrhunderte hinweg soll es nur ein einziges Mal
zu einem Unfall gekommen sein. Immer aber füllt sich das Gotteshaus mit
dichten, süßlichen Weihrauchchwaden, die in jede Ritze der alten Kirche
dringen.
    Dieses
grandiose Spektakel, schon im Jahre 1322 zum ersten Mal erwähnt, wurde
jedenfalls Ende des 16. Jahrhunderts dann mit der gegenwärtigen Vorrichtung
montiert, einer Spule, die abwechselnd in die jeweils gegensätzliche Richtung
rollt und zwischen zwei sich kreuzenden Metallbögen oben in der Kuppel
angebracht ist. Normalerweise kann man dieses Schauspiel nur an besonderen
Feiertagen erleben, aber wenn eine Reisegruppe einen entsprechenden Betrag
aufbringt, saust der Kessel eben auch an einem Tag wie heute über die Bühne.
    Der Sinn,
der in den alten Zeiten für diese populäre Attraktion Pate stand, ist wohl
weniger im rituellen Bereich zu suchen, sondern, wie mein Pilgerführer
berichtet, im Bestreben „zur Reinigung der Luft, die im Innern des Gotteshauses
durch die Ausdünstungen der Pilgermassen verunreinigt wurde.“
    Das klingt
plausibel. Aus alten Schriften weiß man, dass die ehrwürdigen Räume der
Kathedrale, besonders ihre Emporen, auch als Nachtlager dienten. So lesen wir
in der uns bereits bekannten Predigt „Veneranda dies“ aus dem 12. Jahrhundert,
in der Kathedrale würden
    die Feierlichkeiten
ununterbrochen begangen, das Fest vorbereitet, die berühmten Riten Tag und
Nacht vollzogen; Lob, Jubel, Freude und Preis beständig gesungen. Alle Tage und
Nächte gleichen einem ununterbrochenen Fest in steter Freude zur Ehre des Herrn
und des Apostels. Die Türen dieser Basilika bleiben Tag und Nacht unverriegelt,
und die Dunkelheit kehrt doch niemals
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