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Auf dem Rücken des Tigers

Auf dem Rücken des Tigers

Titel: Auf dem Rücken des Tigers
Autoren: Will Berthold
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aus.
    »Christian war früher ganz anders.« Der Verstärker zwang ihn zu lauten Stichworten. »Er hat eine – eine schlimme Geschichte hinter sich.« Er sah an Jutta vorbei: »Ist das noch immer Percy Sledge?«
    Sie nickte.
    »Ich bin kein Spießer, aber ich kann nicht dulden, daß er …« Erik griff selbst nach einer Zigarette und erlaubte sich den zweiten Fehler, als er das Streichholz mit heftiger Geste zu Boden warf. »Es ist ein Selbstmord in Raten.«
    »Macht doch mal leiser!« rief Jutta.
    Die Kellner gaben den Wunsch weiter wie im Stafettenlauf.
    »Interessiert Sie das?« fragte er und wunderte sich, wie er dazu kam, einer knapp Zwanzigjährigen, für die er womöglich ein schwatzender Wichtigtuer war, so viel von sich zu erzählen. »Würden Sie mir einen Gefallen tun?« Er horchte seiner Stimme nach. Das Wort ›Gefallen‹ mißfiel ihm: zu konventionell, zu üblich. Und warum sollte sie ihm auch einen Gefallen tun?
    »Nicht mir«, korrigierte er sich, »sondern Christian.«
    »Ich würde auch Ihnen einen Gefallen tun«, quittierte Jutta seine Selbstkritik.
    Erik betrachtete ihre Hände: Sie waren schmal und schön. Während er sie ansah, als könnte er den Blick von ihnen nicht lösen, begannen sie zu leben, zu wirken. Juttas Hände lagen ruhig und flach auf dem Tisch, aber er glaubte sie entfernt und doch wirksam an einer Stelle seines Körpers zu spüren, die sonst taub und tot war.
    Sie suchte seinen Blick; er senkte den Kopf.
    Der Spuk war vorbei.
    »Mein Bruder muß zum Arzt«, fuhr Erik fort. »Es gibt in Starnberg einen alten Kriegskameraden von ihm. Dr. Müller.«
    »Christian kommt«, warnte Jutta.
    »Haben Sie den Namen behalten?« fragte er hastig.
    »Dr. Müller«, wiederholte sie.
    »Vertragt ihr euch?« fragte Christian schon von weitem. »Dreht doch mal ordentlich auf!« befahl er dem Kellner.
    Die Runde am Nebentisch sah zu Christian herüber und winkte ihm zu. Selbst hier war er als Exzentriker bekannt, verachtet und respektiert. Er lief in schäbigen Anzügen herum und fuhr, sofern er dazu fähig war, einen alten zerbeulten VW. So souverän konnte man die Attribute des Wohlstands nur verachten, wenn man sehr reich war.
    Jutta sah die Runde junger Leute am Nebentisch tuscheln, sie kannte Christians Beziehungen zu Schwabing: Menschen, die er für Idioten hielt, bewerteten ihn als Narren – und tranken auf seine Kosten.
    Der Kellner brachte Christians Morgentrunk, unbestellt: halb Tomatensaft, halb Wodka, wenig Eis, in einem Spezialglas mit doppeltem Volumen.
    Erik übersah es, doch Christian hörte einen stummen Tadel.
    »Tut mir leid«, erklärte er, »aber ohne Alkohol komme ich mir um diese Stunde wie nackt vor.«
    Er erhielt keine Antwort. Doch er ließ ein zweites Glas – der Kellner hatte es mit serviler Verachtung apportiert – stehen.
    »Zieh dich ruhig weiter an«, sagte Erik. »Ich muß mit dir reden.« Er sah, daß das Mädchen gehen wollte. »Bleiben Sie doch bitte«, setzte er hinzu.
    »Mein Bruderherz sucht nämlich Zeugen«, sagte Christian. »Gleich gibt's Zunder.«
    Jutta wollte nicht zuhören, doch selbst durch Gähnen konnte sie ihr Interesse an zwei so ungleichen Brüdern nicht verhehlen.
    »Ich kann dir nicht helfen«, fuhr Erik fort. »Ich brauche dich auf ein, zwei Tage.«
    Christian schwieg. Weder die Stunde noch sein Zustand waren dazu angetan, ihn zu ernsthaften Überlegungen zu nötigen. Aber er fragte sich doch, warum man ihn zu geschäftlichen Besprechungen rief, wo man sich sonst doch öffentlich von ihm distanzierte.
    »Ich habe in der Zeitung gelesen«, sagte er langsam, »daß ich mit der Geschäftsleitung nichts mehr zu tun habe.«
    »Ich auch«, entgegnete Erik. »Ich habe es erst aus der Zeitung erfahren.«
    Christian musterte Erik aufmerksam. Er hatte sich trotz der Überrumpelung gefreut, ihn zu sehen, obwohl er nicht mit Sicherheit sagen konnte, ob er noch Grund zur Freude hätte. Erik wich ihm nicht aus; wenn er sich inzwischen nicht zu einem Lügner entwickelt hatte, mochte seine Behauptung stimmen.
    »Willst du damit sagen«, fragte Christian, »daß du nicht mehr weißt, was in deiner, in …«, er ließ das Wort genießerisch auf der Zunge zergehen, »in unserer Firma vor sich geht?«
    »Unsere Firma ist groß«, erwiderte Erik. »Weitverzweigt. In viele selbständige Abteilungen aufgegliedert und selbst für mich nur noch schwer überseh …«
    »Schmonzes«, unterbrach ihn Christian, »Aglaia hat diese Mitteilung inszeniert.« Die
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