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Auf dem Rücken des Tigers

Auf dem Rücken des Tigers

Titel: Auf dem Rücken des Tigers
Autoren: Will Berthold
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Schwabing-Kenntnis aus zweiter Hand stammte. Er verdankte sie Christian. Im übrigen glaubte Erik nicht an das Schlagwort von der sexuellen Revolution, selbst wenn die Enthemmung die Heuchelei entblößte.
    »Kompromittiere ich Sie?« fragte Erik.
    »Oder ich Sie?« erwiderte Jutta.
    Er hat einen guten Kopf, stellte sie fest, klare Augen. Er zieht sich mit Geschmack an; doch alles an ihm scheint ein wenig übertrieben: der Wuchs zu groß, die Augen zu blau, die Sprache zu deutlich, die Hände zu gepflegt. Äußerlich der männlichste Mann, der ihr bisher begegnet ist, einem bekannten Filmschauspieler ähnlich, den einschlägige Zeitschriften als ›normannischen Kleiderschrank‹ klischierten.
    »Warum sehen Sie mich so an?« fragte Erik.
    »Ich frühstücke nicht jeden Tag mit einem Industrieboß«, antwortete Jutta.
    »Und solche Leute mögen Sie nicht?«
    »Ich habe keine Erfahrungen mit ihnen«, erwiderte sie.
    »Und Sie möchten auch keine haben, oder?«
    Jutta antwortete nicht.
    »Stehen Sie links?« fragte er.
    »Stehen Sie rechts?« fing Jutta sein Geschoß ab und warf es zurück.
    »Manchmal ist das Leben auch seitenverkehrt«, entgegnet Erik lächelnd. Er hatte keine Erfahrung im Umgang mit solchen Geschöpfen, doch allgemein verstand sich Erik auf Menschen. Er erkannte, daß Jutta in ihren Antworten ehrlich war, weil sie es ablehnte, sich belügen zu lassen.
    »Was treiben Sie eigentlich?« fragte er.
    »Was meinen Sie mit diesem Tätigkeitswort?« umging sie eine Antwort.
    Erik lächelte; es war ein Kompliment für Christian. Jutta war nicht nur hübsch und appetitlich, sie verfügte offensichtlich auch über Verstand. Der Bruder hatte fraglos eine erste Wahl getroffen. Erik wußte, daß er nicht der einzige war, der sich gelegentlich nach einem Milieu sehnte, wie es die Gesellschaft ablehnte. Er verurteilte Christians Lebensweise und bewunderte doch insgeheim die Konsequenz. Womöglich wäre es besser, lebend das Leben zu zerstören, als überhaupt nicht zu leben. Im übrigen waren gedankliche Fehltritte dieser Art verständlich wie die Sucht des Konditors nach Fleisch oder der Appetit des Fleischers auf Näscherei.
    Am Nebentisch hatte sich eine lärmende Runde junger Leute oder solcher, die sich für jung hielten, niedergelassen. Sie sprachen heftig miteinander, jedoch nur über sich, über ihre Pläne, über ihr Können. Fortgesetzt bestätigten sie einander ihre Genialität als Eintrittspreis für ihren Zirkel. Ihnen gehörte die Kunst. Alles andere war Kitsch.
    Jutta betrachtete sie unwillig, dabei kräuselte der Spott ihre Lippen. »Dreizehntöner«, sagte sie zu ihrem Begleiter.
    Erik folgte ihren Augen und registrierte: Pullovermenschen, die ihm wie maßgeschneidert schienen für diese Wahnstätte; neben ihnen Maßanzüge mit Konfektionsgesichtern. Müßiggänger beschworen die Muse, Jungfilmer – sie spannten zumeist ihre Leinwand mehr horizontal – neben Schriftstellern, die aus Angst vor dem Schreiben vorwiegend redeten. Am meisten erstaunte Erik immer wieder, daß gelegentlich einer dieser Möchtegerne – »Dreizehntöner« – seinen Film oder sein Buch realisierte, arrivierte und dann nach und nach die neue Welle durch die alte Masche ersetzte. Aber selbst im Sportwagen würde er noch Rollkragen tragen.
    Im ersten Stock probte ein Disk-Jockey den Krawall. Über den Verstärker dröhnte der Rhythmus. Eine schwermütige Stimme, arrangiert mit Instrumenten, wie man sie eher in Kirchen hört. Es war befremdend und suggestiv.
    Erik sah, wie das Mädchen unbewußt den Rhythmus mitschwang: »When a man loves a woman …« Der Raum füllte sich mit Sehnsucht.
    »Wer ist das?« fragte er.
    »Percy Sledge«, antwortete Jutta verwundert. »Haben Sie keine Tochter, keinen Sohn?« fragte sie, mit sich hadernd, weil sie gedankenlos gesprochen hatte.
    »Nur einen Neffen«, antwortete Erik. »Kennen Sie meinen Bruder schon lange?«
    »Seit heute nacht.« Ihre Antwort sollte provozieren. Erik merkte es und überging es. »Ich weiß nicht, wie Sie zu ihm stehen …«
    »So genau weiß ich es eigentlich auch nicht.«
    »Er wird gleich kommen.« Erik sah zur Tür, als erwarte er, daß Christian eintrete. Er sprach jetzt hastig. »Ich mag ihn.«
    Jutta nahm sich eine Zigarette aus der Schachtel. Erik vergaß, ihr Feuer zu geben. Es freute sie, daß diesem distanzierten Höfling ein Lapsus unterlaufen war.
    »Klingt ziemlich banal, nicht?«
    »Ziemlich ehrlich«, erwiderte Jutta und blies den Rauch
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