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Auf dem roten Teppich und fest auf der Erde

Auf dem roten Teppich und fest auf der Erde

Titel: Auf dem roten Teppich und fest auf der Erde
Autoren: Loki Schmidt
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gelebt haben wie zuvor, ein bisschen ungeordnet und improvisiert. Außerdem ist im Krieg alles anders. Das darf man nicht vergessen.
    Nachdem wir ausgebombt waren, habe ich, um in Helmuts Nähe zu sein, bei einer Tante gewohnt, die eine Wohnung in Berlin-Tegel hatte. Sie war nach Hamburg zu ihrer Mutter geflüchtet, sodass in Tegel ein bisschen Platz war. Allerdings brauchte man von dort bis zu Helmuts Kaserne oben im Norden von Berlin beinahe eine Stunde. Ein Hauptmann, ein Kamerad in Bernau, hat uns daraufhin gefragt: »Wir haben noch eine Kammer frei bei uns. Wollen Sie nicht mit Ihrer Frau dort einziehen?« Seine Frau erwartete genau wie ich ein Kind. Die Selbstverständlichkeit, mit der wir beide aufgenommen wurden – das ganze Offizierskorps in Bernau hat uns freundlich behandelt –, ist etwas, das mich heute noch beeindruckt. Die Kameradschaftlichkeit hat uns im ersten Moment überrascht – dann haben wir uns wohlgefühlt.
    Haben Sie später bei bestimmten Gruppen noch einmal ein vergleichbares Miteinander erlebt?
    Da muss ich lange überlegen, aber das waren auch andere Situationen. Wir befanden uns nicht mehr im Krieg. In der SPD, auf den unteren Ebenen, hat es eine gewisse Kameradschaft gegeben. Auf eine andere Art.
    Nach dem Krieg waren Sie die Alleinernährerin.
    Ja, wie es bei vielen verheirateten Frauen meiner Generation der Fall war. Wenn es irgendwie ging, hat man erst einmal die Männer etwas lernen lassen müssen. Darüber wurde gar nicht weiter geredet.
    Erst wurden die Männer aufgepäppelt, und dann haben Sie sie etwas lernen lassen …
    Häufig verlief das parallel. Denn natürlich wollten sich viele Männer, wenn sie aus dem Krieg gekommen waren, in die Arbeit stürzen. Es sei denn, sie waren verwundet. Viele der jüngeren Männer mussten auch erst einmal etwas lernen, einen Beruf oder im Studium, denn sie waren ja lange Zeit im Krieg gewesen. Helmut ging im Wintersemester 1945 an die Universität Hamburg und betätigte sich dann auch politisch, als Mitglied des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS). 1947 wurde er SDS-Bundesvorsitzender.
    Ich habe nicht gedacht – er übrigens auch nicht –, dass Politik später einmal sein Beruf würde. Da mich seit Kinderzeiten Architektur beschäftigte, fand ich es vielmehr sehr gut, dass er sich ebenfalls für Architektur und Städtebau interessierte und das auch studieren wollte. Wir haben aber schnell festgestellt, dass er zum Architekturstudium nach Hannover gemusst hätte. Und das war zu weit weg und damit zu teuer. So hat er das genommen, was in Hamburg angeboten wurde: Volkswirtschaft.
    Nach dem Examen als Volkswirt ist er in Senatsdienste gegangen. Auf diese Art und Weise bewegten Sie sich dann doch auf ein geregeltes Leben zu. Er musste zu bestimmten Zeiten im Büro sein und kam zu bestimmten Zeiten wieder nach Hause. Sie gingen täglich in die Schule.
    Doch, vieles verlief geregelter. Im Haus hat er aber nie viel gesessen, öfter hatte er auch in der Partei zu tun. Doch eines hatte sich grundlegend geändert: Als Doppelverdiener hatten wir mehr Geld zur Verfügung, mein Gehalt hatte sich mit unserer Heirat auch erhöht. Ich verdiente da, glaube ich, immerhin 250 Mark im Monat. Natürlich waren Lebensmittel billiger, aber große Sprünge konnten wir mit unserem Geld auch nicht machen. Wir freuten uns, dass wir das Geld für die Miete hatten. Inzwischen waren wir nach Hamburg-Barmbek umgezogen und hatten erstmals eine eigene Wohnung.
    Sie haben sich, auch nachdem Sie nun beide einen Beruf hatten, nicht als bürgerlich empfunden?
    Dann müssen wir mal definieren, was Sie unter »bürgerlich« verstehen – denn ich glaube, in meinem ganzen Leben bin ich in dem Sinne nicht bürgerlich gewesen.
    Ich meine »bürgerlich« als geordnete, absehbare Lebensperspektive; nach bestimmten Maßstäben, Formen und Traditionen die Freuden eines mehr oder minder wohlbestallten, geregelten Lebens genießen.
    So etwas haben wir schon gehabt, als Helmut noch studierte. Ich hatte meinen Beruf, und der Krieg war aus, das war das Allerwichtigste. Es konnten keine Bomben mehr fallen, und Helmut und ich konnten nicht mehr auseinandergerissen werden. Das würde ich »geregelte Verhältnisse« nennen. Aber bürgerlich?
    Immerhin waren Sie zuvor als Frau eines Offiziers schon als »gnädige Frau« angesprochen worden.
    Paul Ullrich, ein Vorgesetzter von Helmut, hat mich vor unserer Heirat als Erster »gnädiges Fräulein« genannt. Ich habe nur gedacht:
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