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Auf dem roten Teppich und fest auf der Erde

Auf dem roten Teppich und fest auf der Erde

Titel: Auf dem roten Teppich und fest auf der Erde
Autoren: Loki Schmidt
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Programm.
    Wie erklären Sie sich, dass Ihre Eltern Sie auf eine Reformschule geschickt haben? Sie wollten das Beste für Sie …
    Das war für meine Eltern das einzig vernünftige Schulsystem, wo die Schüler schon ein wenig zur Selbständigkeit erzogen wurden, wo Eltern und Kinder zusammen arbeiteten und wo es ein Schulheim an der Ostsee gab, das in dieser Zeit – also nach dem Ersten Weltkrieg – von den oft arbeitslosen Vätern aufgebaut worden war.
    Das pädagogische Konzept …
    … war das, was meinen Eltern entgegenkam. Sie waren gegenüber Erziehungsfragen sehr aufgeschlossen, was ich bei einem Arbeiterehepaar für durchaus bemerkenswert halte.
    Sie wollten ihre Kinder weit weg von der Schule alten Stils, mit Gehorsam und Stillsitzen, sehen.
    Sie fanden es vor allem gut, wenn Kinder selbständig arbeiteten.
    Das gab es auch schon in der Grundschule?
    In gewisser Weise ja. Dort wurde sehr viel gebastelt. Das hört sich zu verspielt an …
    Heute würde man sagen, die Kinder sollten »kreativ« sein.
    Es wurde sehr viel mit der Hand gemacht. Wir brauchten nicht artig auf unseren Bänken zu sitzen, um der Lehrerin zuzuhören.
    Hatten Sie damals schon Träume davon, was Sie einmal werden wollten?
    Ich glaube, da hatte ich schon den Traum, dass ich Naturforscher werden wollte. Ich wusste allerdings nicht genau, was man darunter zu verstehen hat. Aber zur Natur habe ich mich schon sehr früh hingezogen gefühlt.
    Hatten Sie denn irgendeine Ahnung, dass Sie möglicherweise etwas erreichen könnten, was Ihren Eltern – Ihr Vater war Elektriker auf einer Werft, Ihre Mutter gelernte Schneiderin – nicht vergönnt war?
    Das Gefühl, dass ich etwas erreichen könnte, was meine Eltern nicht schaffen konnten, hatte ich nicht. Aber mit zwölf Jahren war das Ziel, Naturforscher zu werden, bei mir schon sehr ausgeprägt. Zu Hause jedoch vermisste ich nichts. Bei uns ging es oft fröhlich zu. Es wurde viel gesungen, auch mit Freunden meiner Eltern. Alles, was nur irgend ging, wurde selbst gemacht.
    Meine Eltern hatten einmal an der Volkshochschule ein Semester lang Architektur belegt, und mein Vater, der sehr an Architektur interessiert war, ist mit mir durch die Stadt gegangen und hat mir alles erklärt. Ich glaube, mit zwölf etwa konnte ich schon so ungefähr sagen, in welcher Zeit ein Haus oder eine Kirche gebaut worden war.
    Meine Eltern gehörten zu einer Arbeiterklasse, die es so heute nicht mehr gibt. Sie waren sehr an ihrer persönlichen Weiterbildung interessiert und gingen, wenn es irgendwie möglich war oder besonders interessante Kurse angeboten wurden, zur Volkshochschule. Obwohl sie arm waren, hatten sie keine Angst vor der Zukunft, sondern waren meist frohen Mutes.
    Die Lichtwarkschule hat all das, was bei Ihnen in der Grundschule angelegt war, noch weiter gefördert.
    Wobei ich, nachträglich gesehen, sagen muss, dass unsere Grundschullehrerin, mit der meine Eltern später befreundet waren, trotz aller Reformansätze verhältnismäßig konservativ war. Aber das kann man immer erst später beurteilen.
    Haben Sie in der Lichtwarkschule dann Kinder aus ganz anderen sozialen Verhältnissen kennengelernt?
    Auch, doch nicht nur. Es waren viele Kinder aus ärmlichen Verhältnissen da. Ich schätze, dass in Helmuts und meinen ersten Jahren in der Lichtwarkschule ungefähr die Hälfte Handwerker- und Arbeiterkinder und die andere Hälfte Akademikerkinder waren. Und, um es ganz offen zu sagen: Die Herkunft und häuslichen Verhältnisse interessierten uns Kinder doch sowieso nicht.
    Heute wäre das etwas anders, weil die Kinder von wohlhabenderen Eltern beispielsweise anders gekleidet wären.
    In meiner Volksschulzeit kamen viele Mütter nachmittags in die Schule und änderten abgelegte Kleider, die man dort gesammelt hatte, sodass auch die ärmsten Kinder noch anständig gekleidet in die Schule gehen konnten. Ich kann mich nicht erinnern, jemals einen Unterschied in der Kleidung festgestellt zu haben. Auch in der Lichtwarkschule hat das in den ersten Jahren keine Rolle gespielt. Das Einzige: Einige Jungs hatten eine Klassenmütze – an der konnte man sehen, in welche Klasse sie gingen. Sie kostete jedoch Geld, und viele konnten sie sich nicht leisten.
    Nicht nur für Kleidung, auch darüber hinaus war bei Ihnen zu Hause das Geld immer knapp. Später, als Lehrerin, hatten Sie dann Ihr eigenes Einkommen. Haben Sie mehr verdient als Ihr Vater?
    Nein. Ich weiß ja noch, was ich verdient habe. 126,23 Mark. Als
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