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Auch Santiago hatte einen Hund

Auch Santiago hatte einen Hund

Titel: Auch Santiago hatte einen Hund
Autoren: Peter Lindenthal
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Man-nerschnitten zu füttern. Fochten wir auf diese Art etwa - mit riesiger Verspätung - einen Autoritätskonflikt aus, und Ajiz war nur der Vorwand? Vielleicht sollte ich jetzt wirklich einmal eine Therapie machen!
    Trotzdem wir als Besucher immer willkommen waren, Ajiz für längere Zeit - einen Tag, ein Wochenende - bei ihnen zu lassen, war nicht möglich, schon gar nicht in seinen jüngeren und „dynamischeren“ Jahren. Meine Eltern sind heute beide über 80, und ich verstehe, dass ihnen der kontrollierte, unverbindliche Kontakt zu meinem Hund - also in meiner Anwesenheit, wo sie ihn streicheln und verwöhnen konnten, und in einem zeitlich klar begrenzten Rahmen - lieber war, als Verantwortung für ihn zu übernehmen, und sei es nur für einen halben oder ganzen Tag. Davon hatten sie mit uns neun (!) Kindern in ihrem Leben schon genug gehabt. Den alten Ajiz aber trauten sie sich nun doch manchmal zu betreuen, was nicht nur mir sehr recht war, der ich so - mit dem Fahrrad - in der Stadt viel erledigen konnte. Ajiz hatte seine Ruhe - meistens zog er sich bei meinen Eltern in das hinterste Zimmer zurück, wo ihn niemand störte - und, da mache ich mir keine Illusionen, einige Mannerschnitten fielen sicher auch für ihn ab, während meine Mutter für eine kurze Zeit ihre Hundeliebe ausleben konnte. Während ihrer Kindheit in Danzig war auch ein Hund Mitglied ihrer Familie gewesen, den sie sehr geliebt hatte. (Das hat sie mir übrigens erst erzählt, als ich als Erster und bisher auch Einziger der Familie selbst mit einem Hund angetrabt gekommen war.)
    Als ich eines Tages nach Erledigung meiner Besorgungen Ajiz abholen wollte, der den Nachmittag bei ihnen verbracht hatte -Ajiz begrüßte mich wie gewöhnlich eher zurückhaltend, fast gleichgültig -, berichteten sie mir lachend, dass Ajiz offensichtlich ein Mozart-Liebhaber sei. (Was mich nicht im Entferntesten überraschte, höre ich doch bei mir zu Hause fast ausschließlich klassische Musik, und im Auto ist der jeweilige Klassiksender - Öl in Österreich, France Musiques in Frankreich, Radio Nacional España in Spanien - im Dauereinsatz. Irgendwas davon wird wohl auch bei Ajiz hängen geblieben sein.) Ajiz hatte sich wie üblich ins hintere Zimmer zurückgezogen gehabt, wo es dunkel, ruhig und immer kühl war, und hatte seit Stunden nichts mehr von sich hören lassen. Meine Eltern gingen derweil ihrem Tagwerk nach, räumten, putzten, arbeiteten im Garten, lasen in der Küche die Zeitung, tranken Kaffee, telefonierten mit den Enkelkindern. Am späten Nachmittag hielten sich beide in der Küche auf, aus dem Radio kam klassische Musik (sie teilen diese Vorliebe mit mir), als im Programm ein Klavierkonzert von Mozart angesagt wurde. Kaum waren ein paar Takte dieser wundervollen Musik erklungen, als Ajiz in der Küche auftauchte - dazu musste er zwei Zimmer durchqueren, deren Türen immer offen standen -, und sich wortlos, na ja, halt lautlos wie immer, unter dem Esstisch zusammenrollte und weiterdöste. Für meine Eltern war der Zusammenhang mit der Musik von Mozart klar, für mich eigentlich auch. Weiß man doch aus mehreren wissenschaftlichen Untersuchungen von der positiven Wirkung klassischer Musik, insbesondere der von Mozart, auf Kinder im Mutterleib, sogar auf die Milchleistung von Kühen. Warum also nicht auch auf Hunde? (Die Tatsache, dass für Ajiz, durch das Zusammenleben mit mir bedingt, klassische Musik in Kombination mit menschlichen Stimmen, Geschirrklappern usw. Geborgenheit, Wohlfühlen, Daheimsein bedeutete, spielte wahrscheinlich auch eine Rolle, ist aber kein Widerspruch.) Jedenfalls: Ajiz konnte nicht nur lesen, er liebte auch Mozart!
     
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    FREITAG, 19. NOVEMBER
    ORTHEZ - SAUVETERRE
     
    Früh bin ich wach, und ich versuche, beim Packen und Frühstücken möglichst keinen Lärm zu machen, denn Eric schläft noch. Es ist schon auch Rücksichtsnahme auf seinen Schlaf, aber vor allem pures Eigeninteresse, das mich zu diesem zivilisierten Verhalten bringt. Ich möchte seine endlosen Monologe einfach nicht noch länger anhören müssen. Dafür leistet mir Robert, der Präsident der Jakobsgemeinschaft von ORTHEZ und auch Initiator dieser wunderbaren Herberge, beim Kaffee unvergleichlich angenehmere Gesellschaft. Schon am Abend hatte er kurz vorbeigeschaut, und wir hatten uns auf Anhieb gut verstanden. Da er heute später zu arbeiten beginnt, nützt er die Gelegenheit, um das Gespräch mit mir fortzusetzen und mir noch alles Gute für den Camino zu
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