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Auch dein Tod ändert nichts (German Edition)

Auch dein Tod ändert nichts (German Edition)

Titel: Auch dein Tod ändert nichts (German Edition)
Autoren: Celia Rees
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früher hatte er schon Albträume gehabt, aber diese waren eine ganz andere Größenordnung.
    Schließlich schien er das Schlafen aufgegeben zu haben. Ich hörte ihn hin und her tappen und im Haus herumstreifen. Das Knarren der Treppe, das Quietschen des Fußbodens, wenn er versuchte, leise zu sein, waren beunruhigender als das Schreien. Er konnte es nicht ertragen, dass Mum sich Sorgen machte und über eine Therapie sprach. Er hatte eine gemacht, und die hatte nichts gebracht. Er hatte seine eigene Art, damit umzugehen, einschließlich des Stoffs, den er anbaute, und Dosen mit hochprozentigem Bier. Schließlich zog er bei Großvater ein, wo er freier war, die Dinge auf seine Art zu machen. Großvater ist stocktaub, und selbst wenn er aufgewacht wäre, hätte er nichts gesagt. Er verstand das. Er hatte seine eigenen Albträume.
    Ich greife mir ein Bier aus dem Kühlschrank und gehe auf die Terrasse. Wir wohnen in einer der vielen Stadtrandsiedlungen. Die Häuser sind auf kleinen Grundstücken so im Winkel zueinander gebaut, dass alle einen kleinen, uneinsehbaren Bereichhaben. Jedes Jahr wird ein neuer Abschnitt hingedonnert. Wie im Legoland. Das Gelände wirkt kahl und unfertig. Vor nicht allzu langer Zeit gab es hier nur Felder. Die Bäume und Hecken sind durch mickrige kleine Bäumchen und Büsche ersetzt worden. Mum versucht, entlang der Zäune Büsche hochzuziehen, und hat die Grundstücksgrenzen bepflanzt, doch der Garten wirkt wie eine grüne Schuhschachtel. Die Häuser sind aus hellem Backstein, völlig unverwittert.
    Es ist ein schöner Abend. Überall wird gegrillt. Ich bekomme Hunger. Ich gehe rein und mache mir ein Schinkenbrot. Zum Essen gehe ich wieder nach draußen. Die Leute sind alle in ihren Gärten. Ich höre Gesprächsfetzen, das Klirren von Gläsern, Gelächter.
    Lange Zeit bleibe ich draußen. Um mich herum gehen die Lichter aus, nur noch die entfernte Straßenbeleuchtung ist an. Die Luft ist warm und weich wie Samt. Ich blicke nach oben in die lichtergesprenkelte Dunkelheit. Großvater hatte ein Teleskop auf dem Dachboden. Zusammen haben wir die Sterne betrachtet. Ich erinnere mich noch an die Sternbilder. Er hat sie mir beigebracht. Ich sehe eine Sternschnuppe, die aussieht wie der Kratzer einer goldenen Nadel – dann noch eine.
    Während ich nach weiteren Schnuppen Ausschau halte, treiben meine Gedanken ab. Ich sehe das Sterntattoo auf ihrer Schulter. Ein Muster von winzigen Fleckchen wie Sternbilder. Ich frage mich, wie sich ihre Haut unter meinen Fingern anfühlen würde. Ich versuche, sie heraufzubeschwören. Ich sehe ihr Profil in Großaufnahme, als sie über die Schulter blickte, sehe es eingefangen im Spiegel, als sie von ihrem Spiegelbild zu dem ihrer Mutter blickte. Ich lasse diese Augenblicke immer wieder abspielen,nehme den dunklen Schwung ihrer Augenbrauen wahr, den feuchten Schimmer ihrer Augen, die Neigung ihrer Nase, den Bogen ihrer Lippe, den Schatten unter ihrem Wangenknochen, das Wippen ihrer Haare. Ich öffne die Augen und blicke zum Himmel. Ein Song kommt über meinen iPod. Ich habe ihn schon gehört, ihn auch gemocht, aber die Worte hatten nie eine besondere Bedeutung für mich. Jetzt haben sie die.

6
    Ich habe einen Sommerjob unten am Fluss, arbeite für Alans Bootsvermietung. Ich sammele das Geld für die Liegestühle ein, verkaufe Eis und fahre mit den Booten raus. Das mache ich schon seit einigen Sommern. Ich habe den Job gewissermaßen von Rob geerbt. Offiziell fange ich den Job erst mit den Sommerferien an, doch das Geschäft ist mit dem guten Wetter lebhafter geworden, und Alan hat mich gefragt, ob ich nicht ein paarmal die Woche nach der Schule kommen könnte. Es bringt nicht viel Geld und Cal macht sich gnadenlos darüber lustig, doch man ist im Freien und am Fluss. Für mich ist der Job gut genug.
    An einem Nachmittag bringe ich die Stocherkähne in Ordnung, springe von einem zum anderen, sehe zu, dass sie ordentlich in einer Reihe auf dem Wasser liegen, mache die Stangen sauber und überprüfe, dass alle mit der vollständigen Anzahl von Kissen ausgestattet sind. Es ist erstaunlich, wie oft die im Wasser landen. Als ich den Kopf hebe, sehe ich sie. Unter den Weiden sitzt sie, hat ihre Sachen um sich herum ausgebreitet und schreibt in ein Notizbuch.
    Ich habe das Gefühl, dass sie schon den ganzen Tag hier verbracht hat, verborgen hinter dem Blättervorhang. In der Schule war nichts von ihr zu sehen gewesen, und ich habe wahrhaftig Ausschau nach ihr gehalten.
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