Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Atme nicht

Atme nicht

Titel: Atme nicht
Autoren: Jennifer R. Hubbard
Vom Netzwerk:
ich einen eigenen Kühlschrank & ein eigenes Bad hätte, würde ich das Zimmer gar nicht mehr verlassen.«
    »Ich glaube, Einsiedler kann man erst sein, wenn man Milliardär geworden ist.«
    »Dazu fehlen mir bloß noch 999 999 960 Dollar. Vielleicht sollte ich einen Aufruf ins Internet stellen: AN ALLE AMERIKANER: HELFT MIR, EIN EXZENTRISCHER MILLIARDÄR ZU WERDEN!«
    Wieder einmal fragte ich mich, ob Jake überhaupt schon das Haus verlassen hatte, seit im Juni die Schule zu Ende gegangen war. Aber jedes Mal, wenn ich das Thema anschnitt, zog er es ins Lächerliche. Val und ich prophezeiten ihm immer, er würde sich noch zum Maulwurf entwickeln oder Rachitis bekommen, weil er nie in die Sonne ging – na ja, vermutlich zogen wir das Ganze auch ins Lächerliche. Mit Val führte ich seit unserem Klinikaufenthalt ab und zu ernsthafte Gespräche, mit Jake nie. Wahrscheinlich wollte er einfach nicht an die Dinge erinnert werden, die wir dort miteinander erlebt hatten: an die emotionalen Ausbrüche im Aufenthaltsraum, die Geständnisse bei den Gruppensitzungen, daran, dass wir nichts voreinander verbergen konnten, weil wir rund um die Uhr zusammen waren. Wenn jemand mal erlebt hat, wie du dir den Rotz vom Gesicht wischst, nachdem du zusammengebrochen bist und einem Kreis von psychisch Kranken gestanden hast, dass du dich selber hasst, weil du dich nach Aufmerksamkeit sehnst und sie nie bekommst – tja, dann schickst du diesem Jemand eben lieber Clips mit Straußen und Walrossen, statt mit ihm über diese ganze Scheiße zu reden.
    Früh am nächsten Morgen ging ich zum Wasserfall. Es war kalt und dunstig. Kent Thornton saß am Ufer des Bachs und rauchte. Zuerst dachte ich, es sei nur eine Zigarette, bis mir der süßliche Duft in die Nase stieg. »Hab gehört, du warst hier mit Nicki zusammen«, sagte er.
    Nicki. So hieß seine Schwester also. »Stimmt.«
    »Die hat nicht alle Tassen im Schrank.«
    Ich zuckte zusammen. Wenn jemand so etwas sagte, war ich mir nie sicher, ob das eine Anspielung auf mich sein sollte.
    »Meine Mutter will noch nicht mal, dass sie allein aus dem Haus geht, weil sie so plemplem ist.« Er starrte in Richtung Wasserfall. »Nicki ist ein nettes Mädchen, aber seit dem Tod unseres Dads ist sie völlig verdreht.«
    Ich trat einen Schritt zurück. Wenn er die Absicht hatte, den ganzen Vormittag hier rumzusitzen, würde ich wieder abziehen. Ich wollte unbedingt allein sein. Sobald ich mit anderen Leuten zusammen war, befürchtete ich immer, dass sie etwas sagen könnten, was mich verletzte. In der Schule hatte Kent so gut wie nie mit mir gesprochen. Und ich war nicht sonderlich scharf darauf, dass er jetzt damit anfing.
    »Also geh vorsichtig mit ihr um.« Kent drehte mir den Kopf zu und sah mich mit seinen rot geränderten Augen an. »Sie ist schließlich meine Schwester.«
    Vorsichtig? Ich hatte ihr doch bloß ein Handtuch ausgeliehen. Und ihr unser Haus gezeigt, einschließlich Besenschrank.
    Kent deutete auf den donnernden Wasserfall. »Du stellst dich da runter, stimmt’s?«
    »Manchmal.«
    »So was Dämliches. Was zum Teufel ist bloß los mit dir?«
    Gute Frage, Kent, hätte ich am liebsten erwidert. Wie viel Zeit hast du denn, um dir die Antwort anzuhören?
    »Da würd ich mich nicht mal für ’ne Million runterstellen«, setzte er hinzu. »Nicht mal für ’ne Million.« Er schüttelte den Kopf und fuhr eine Weile damit fort, als hätte er vergessen, wie er aufhören sollte. Erst als ich mich räusperte, ließ er es bleiben.
    »Bis dann«, sagte ich und machte mich auf einem der Waldpfade davon. Als ich eine Stunde später zurückkam, war Kent verschwunden.
    Am besten und gleichzeitig am schlimmsten war jener Moment unter dem Wasserfall, wenn ich keine Luft mehr bekam. Das jagte mir Angst ein, war aber irgendwie auch toll. Das eiskalte Wasser, das mir ins Gesicht peitschte, schnürte mir den Atem ab. Wenn ich dann zur Seite trat und nach Luft schnappte, kam mir dieser Atemzug vor wie der erste Bissen, den ein Halbverhungerter herunterschlingt.
    Ich wankte zum Ufer, ließ mich ins Moos fallen und schloss die Augen. Von meinem ganzen Körper tropfte Wasser auf das Moos und den Schlamm.
    »Wie ich gehört habe, ist es unter dem Wasserfall viel zu kalt«, sagte da über mir eine Stimme. »Und gefährlich.«
    Ich öffnete die Augen. Vor mir stand Nicki.
    »Hab ich auch schon gehört«, erwiderte ich.
    Sie setzte sich hinter meinen Kopf ins Moos. Ihre Haut roch nach Sonnencreme, ein kräftiger,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher