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Atlas eines ängstlichen Mannes

Atlas eines ängstlichen Mannes

Titel: Atlas eines ängstlichen Mannes
Autoren: Christoph Ransmayr
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hatte, Dutzende, Aberdutzende Lichtsucher, Tagsucher lösten und in die Flut stürzten. Wie aber war ein Schwarm ertrinkender Falter zu retten? Und wie war zu entscheiden, wer gerettet werden und wer sterben sollte? Denn nicht für alle Ertrinkenden konnte Hilfe rechtzeitig kommen.
    Erinnerte der aus der Nacht dieses ersten Tages im neuen Jahr einfallende Schwarm nicht an jenen Hagel aus glutheißen Steinen, mit dem der Vulkan Gunung Agung in zyklischen Ausbrüchen die Stadt an seinem Fuß heimsuchte, zum Zeichen dafür, daß die Dämonen die Menschen und ihre maßlose, verwüstende Besiedlung der Erde haßten?
    Wurde
Tulamben
, der Name der Stadt, denn nicht aus dem Wort
Batulambih
hergeleitet, einem Wort, das
Steinhagel
bedeuten konnte und damit benannte, was hier in der Vergangenheit geschehen war und wieder und wieder geschehen würde, bis jeder Garten, jede Straße, jedes Haus unter Asche und schwarzem Schutt begraben sein würde?
    Wenn diese Falter tatsächlich Sinnbilder der Seelen waren, wie es in einem Buch hieß, das nach der Lektüre im letzten Tageslicht vor der befohlenen Dunkelheit immer noch aufgeschlagen vor mir lag, dann verwandelte sich der himmelblau strahlende Pool in diesen Augenblicken in ein zierliche Wellen schlagendes, wogendes Jenseits.
    Ich sah die Schwimmerin inmitten des gefallenen Schwarms, in dem viele den Kampf um ihr Leben bereits verloren hatten. Schwarz, reglos trieben sie über dem Licht dahin und wurden, wie zum Hohn auf den Versuch, die Dämonen zu täuschen, von den Wellen geschaukelt, als sollte nun den Menschen vorgetäuscht werden – mir an einem weiß gedeckten Tisch auf einer dunklen Terrasse und der Schwimmerin im Wasser –, daß dieses schaukelnde Treibgut noch lebte.
    Aber dann schien sich die Schwimmerin daran zu erinnern, daß die von Menschen gemachten Gesetze ja nicht nur von Menschen auch wieder gebrochen wurden. Und hob ihren Kopf. Und sah zwischen rauschenden, alle Gebote der Stille brechenden Palmkronen zum Nachthimmel empor, in eine von Sternen glitzernde Finsternis.

Stille Nacht
    Ich sah eine Elefantenherde im ufernahen Wasser eines von lichtem Urwald umgebenen Sees an der Ostküste Sri Lankas. Etwa dreißig Tiere, Bullen und Kühe mit ihren Kälbern, standen bis zum Bauch und tiefer im dunklen, glatten Wasser, umschlangen mit ihren Rüsseln große Büschel einer
Elefantengras
genannten Schilfart, zogen sie aus dem weichen Grund und schwemmten Schlamm und Erde von den Wurzelballen, indem sie die Büschel wie Wäschestücke klatschend hin und her schwenkten. Auch das knackende Geräusch, mit dem sie die verholzten Halme dann zwischen ihren Mahlzähnen zerkleinerten, war in der Abendstille weithin zu hören. Einige Kälber versuchten bereits, es den Müttern nachzutun, zogen da und dort einen für ihre Rüssel viel zu langen Halm aus dem Wasser, mühten sich tolpatschig, ihn abzuschwemmen, und ließen ihn dann doch und wie nach einem prüfenden Vergleich mit dem Geschmack und dem Aroma der Muttermilch in die Dämmerung davontreiben.
    Nichts wies darauf hin, daß dieser weitläufige See, in dem selbst eine Elefantenherde erst auf den zweiten Blick sichtbar wurde, Menschenwerk war – einer jener kunstvollen, nun von überwucherten Steindämmen gefaßten
Tanks
, mit denen singhalesische Könige schon vor Jahrhunderten die Fluten der Regenzeit stauen ließen, um damit in den Monaten der Dürre Reisfelder, Gärten und Parks über ein dichtes Netz von Kanälen zu bewässern oder die Fontänen von Springbrunnen und Wasserkünsten in den glühenden Himmel steigen zu lassen.
    Jetzt trieben Spiegelbilder von Wolkengebirgen, aus denen eben noch sturzflutartiger Regen herabgerauscht war, gleichgültig gegen Elefanten oder Menschen und ihre Werke über den dunkler und dunkler werdenden See. Es war der Abend jenes Dezembertages, auf den in der verschneiten, unerreichbar weit entfernt erscheinenden Weltgegend, aus der ich kam, eine Stille, eine Heilige Nacht folgen und mit Lichterbäumen und Chören die Geburt eines Gottes gefeiert werden sollte … Aber hier, an diesem See und über den Sümpfen im Hinterland der Arugam Bay, war es nur still. Und die Stille erschien gerade durch die klatschenden Schwemmgeräusche, die sich in ihr verloren, noch tiefer – und schien gefährdet allein durch das verhaltene Kichern einer Schar barfüßiger Kinder, die mich durch Dickicht und morastige Waldstreifen ans Ufer zu den Wasserweiden jener Elefanten geführt hatten, die hier vor
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