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Asylon

Asylon

Titel: Asylon
Autoren: Thomas Elbel
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zu ihm zurückkehren wollten.
    Allerdings fühlte er wieder jenen
unwiderstehlichen Zwang, seiner Neugier nachzugehen, sollte sie ihn nun
enttäuschen oder nicht. Er begann den Artikel zu lesen.
    Ein schöner Donnerstagnachmittag vor den Stufen des Appellationsgerichts.
Kein guter Tag für Warren McDunn, Gründer und Ex-Vorstandsvorsitzender des
Sicherheitsunternehmens SecuCorp – Security Industries Corporation (NYSE: SXN).
Richter Patrick Burger vom vierten Senat bestätigte heute McDunns Verurteilung
zu zwölffach Lebenslänglich ohne Bewährung durch das Distriktsgericht von
Orange County wegen mehrfachen Mordes, Menschenhandels und etlichen anderen
Delikten. Die Verurteilung gilt McDunns Verwicklung in den Asylonskandal.
Asylon war der Name einer innovativen Hochsicherheitsanstalt für
Schwerverbrecher, die die SecuCorp-Gruppe vor fünfzehn Jahren auf dem Gelände
der aufgegebenen Gemeinde Palm Springs errichtet hatte. Hintergrund war eine
Initiative der Bundesregierung zur Privatisierung des Strafvollzuges.
     Insiderinformationen führten vor fünf Jahren zu einer
Überprüfung der Anstalt durch das Department of Justice, bei der jene Umstände
ans Licht kamen, die in der Folge nicht nur zur Schließung der Anstalt, sondern
zur Absetzung des gesamten Vorstandes der SecuCorp und zur Anklageerhebung
gegen elf ihrer wichtigsten Funktionäre führte. Die L. A. Times berichtete.
     Unbestätigten Quellen zufolge sollen die besagten Informationen
auf eine Person aus dem Umfeld des psychurgischen Instituts der SecuCorp
zurückgehen, der man im Gegenzug für ihre Kooperation Immunität gegenüber strafrechtlicher
Verfolgung und eine neue Identität zusicherte.
     Ein Bericht der englischsprachigen Ausgabe von La Jornada ordnet die Informationen hingegen einem Mitarbeiter des
Asylon-Projekts zu, der sich diese unbefugt angeeignet und in einem geheimen
Privatsafe untergebracht haben soll. Die Leiche des Mannes war auf dem
Parkplatz des Six-Banners-Parks bei Hacienda Heights in der Nacht des
sogenannten »SWAT-Massakers« entdeckt
worden, bei dem drei Dutzend Mitglieder einer Spezialeinheit der Polizei durch
ein mysteriöses Großfeuer ums Leben kamen. Gerüchte, denen zufolge die
Polizisten Opfer eines Angriffs von Söldnern der SecuCorp wurden, konnten nie
bewiesen werden und durften daher trotz eines gegenteiligen Antrags der
Staatsanwaltschaft im McDunn-Prozess nicht zur Sprache gebracht werden.
     Nach Gerichtsurteil steht allerdings fest, dass mit Wissen
und Einwilligung des damaligen Vorstandsvorsitzenden von SecuCorp an Kindern
von Asylon-Insassen pränatale genetische Untersuchungen durchgeführt wurden,
um ihr späteres Aggressionsverhalten vorhersagen zu können. Befand man die
genetischen Voraussetzungen, dass auch sie später zu kriminellen Verhalten
neigen, als gering, wurden die Neugeborenen ihren Eltern entrissen und der
Adoptionsagentur »Nobility« übergeben, die die Säuglinge für viel Geld an
reiche, kinderlose Paare verkaufte und die, wie sich herausstellte, ein
hundertprozentiges Tochterunternehmen von SecuCorp war.
     Zudem wurden offenbar Dutzende von Asylon-Insassen während
ihrer Haft getötet, wobei es sich bei den meisten dieser Tötungsdelikte um
vorsätzlichen Mord handelte. Zwecks Vertuschung wurden die Gefängnisdateien
sowie die elektronischen Zentralarchive des LAPD und
der Bundespolizei FBI manipuliert. Neben biometrischen Daten und
Fingerabdruckdateien wurden ganze Karteien von in Asylon Inhaftierten gelöscht,
sodass sich nicht genau ermitteln lässt, wie viele Insassen genau in Asylon ums
Leben kamen oder ob vielleicht sogar verurteilte Schwer- und Schwerstkriminelle
entkamen, deren Identität den Behörden aufgrund der Manipulationen unbekannt
ist.
     Warren McDunn soll am Samstag in das Bundesgefängnis von
Pasadena überführt werden, das ironischerweise von dem ehemals ärgsten
Konkurrenten von SecuCorp, der Lock ’n’ Key Corporation, unterhalten wird. Die
Zukunft von Asylon ist derzeit Gegenstand hitziger Debatten auf höchster
Regierungsebene.
    Der Artikel war zu
Ende, aber John konnte seine Augen kaum von dem Screenpad lösen. Er las den
Artikel noch einmal, noch ein zweites und schließlich ein drittes Mal.
Seltsamerweise empfand er bei der Lektüre eine seltsame Mischung aus Heiterkeit
und Befriedigung. Er seufzte und hoffte, dass er eines Tages erfahren würde,
was dieses Gefühl in ihm auslöste.
    Die Gegend vor dem Busfenster
hatte sich von Gewerbe- zu
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