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Ashes, Band 02: Tödliche Schatten (German Edition)

Ashes, Band 02: Tödliche Schatten (German Edition)

Titel: Ashes, Band 02: Tödliche Schatten (German Edition)
Autoren: Ilsa J. Bick
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dort führte eine Treppe zu einer verstaubten Bibliothek im zweiten Stock. Dann gelangten sie durch eine Falltür neben dem Raum mit den Orgelpfeifen zu einer eisernen Wendeltreppe, die in den Glockenturm führte. Dieser verfügte über sieben Etagen, die man über mehrere im Kalkstein verankerte Metallleitern erreichte. Eine nicht mehr funktionierende Carillon-Klaviatur nahm die Südhälfte des siebten Stockwerks ein. Die Tastenstöcke und Fußpedale mit den Drahtzügen, die mit den dreiundzwanzig Glocken verbunden waren, sahen wie ein gigantischer Webstuhl aus. Oder wie ein Spinnennetz, fand Cindi.
    Am oberen Ende der letzten Eisenleiter stemmte sie eine massive Holzfalltür auf. Knarzend öffnete sie sich, und Cindi blies eine Bö kalter Luft entgegen.
    »Hi, Tom«, sagte sie und erklomm die letzten Sprossen. Der Glockenturm war nach allen Seiten offen, und als sie einen Blick nach Norden warf, schnitt der Schein ihrer Stirnlampe eine Lücke in die Finsternis. Nach Norden hin hatte man einen guten Blick auf das Bergwerk … oder was davon übrig geblieben war. Sie war sich sicher gewesen, dass Tom diesen Aussichtspunkt wählen würde, und hatte sich nicht geirrt: Er kauerte auf einem hohen Hocker, einen dicken Schlafsack um die Schultern gewickelt, das große Gewehr mit dem Zielfernrohr und einem Mädchennamen darauf an die Steinwand gelehnt. Er schaute sich nicht nach ihnen um, aber an seiner Kopfhaltung erkannte sie, dass er wach war. »Ich bin’s, Cindi. Ich habe dir was zu essen gebracht.«
    Keine Antwort. Eigentlich hatte sie auch keine erwartet. Der Rest des Glockenturms lag in völliger Finsternis, im Schatten der Glocken, die hinter vergitterten Schallöffnungen an Längs- und Querbalken hingen. Sie boten zwar etwas Schutz, aber hier oben war es viel kälter, und Cindi begann bereits auszukühlen. Sie zitterte, als ein Luftzug über ihren schweißnassen Nacken strich. Als Luke hinter ihr ebenfalls hochgeklettert war und die Falltür schloss, setzte sie hinzu: »Luke ist auch da.«
    Wieder keine Antwort. Luke warf ihr einen Ich-hab’s-dir-doch-gleich-gesagt-Blick zu, den sie aber ignorierte. Sie machte ein paar Schritte auf Tom zu, stellte ihren Rucksack ab und nahm eine Thermoskanne und einen Becher heraus. »Ich dachte, du hättest vielleicht Lust auf Suppe?« Als er immer noch nichts sagte, schraubte sie die Kanne auf, sodass eine nach Hühnchen duftende Dampfwolke entwich. »Eine Hühnersuppe mit Nudeln. Na ja, natürlich keine echte. Ich hab Brühwürfel genommen und Ramen-Nudeln und … «
    »Danke, Cindi.« Toms Stimme war so leise, dass sie sie beinahe überhört hätte. Er schaute weiter unbeirrt in die Ferne. »Ich bin aber gar nicht hungrig.«
    Hinter ihr scharrte Luke mit den Füßen, doch sie drehte sich nicht zu ihm um. Wenn er doch auch mal was sagen würde, wenigstens »Hallo«.
    »Ja, schon klar«, erwiderte Cindi. War das die richtige Antwort? Wahrscheinlich nicht. Himmel, wenn doch ihre Mom noch am Leben wäre. »Meine Mom hat mir immer Hühnersuppe gemacht, wenn es mir nicht gutging. Deshalb dachte ich, du magst vielleicht auch eine. Oder eben später.« O Mann, war das schwach. Trauer war keine Krankheit, sondern etwas sehr Menschliches. Behutsam stellte sie die Thermoskanne neben seinem Hocker ab und nahm dann drei eingewickelte Päckchen heraus. »Sandwiches habe ich dir auch gemacht. Nichts Besonderes oder so, nur mit Erdnussbutter drauf und ein paar kleinen Portionspackungen Honig, die ich aufgetrieben habe. Ich hätte dir auch Kaffee gebracht, aber … « Aber was? Du schläfst ja ohnehin schon nie, obwohl du es dringend nötig hättest? Tom, wann kommst du endlich runter und bist wieder der Alte?
    Sie hörte ihn tief seufzen, und als sie aufsah, verschlug es ihr vor Schreck fast den Atem. Mager war Tom ja schon immer gewesen, aber jetzt war er ausgemergelt: die Wangenknochen traten messerscharf hervor, darunter lagen tiefe Höhlen. Seine Lippen waren zerkaut und blutverkrustet.
    »Möchtest du nicht mal probieren?« Sie wusste nicht, was sie sonst sagen sollte.
    »Nein«, sagte er, ohne sie anzusehen, und sog wieder tief Luft ein. »Geht lieber zurück. Es ist kalt.«
    »Du solltest mitkommen«, erwiderte sie. Herrgott, ob Luke wohl jemals den Mund aufbrachte?
    Tom schüttelte den Kopf. »Ich bin noch nicht so weit.«
    »Wann wirst du es denn sein?« Eigentlich glaubte sie nicht, dass sie wie ein weinerliches kleines Kind klang, aber wer wusste das schon? Das war alles so
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