Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ascheträume

Ascheträume

Titel: Ascheträume
Autoren: Maurizio Temporin
Vom Netzwerk:
immer weitermachten, hörte ich Gelächter und erkannte Ludkar, der mit verschränkten Armen auf der Treppe stand, die sich am Kamin hinaufwand. Er hatte die Aschemenschen tatsächlich in die Welt gestoßen. Dieser Bastard amüsierte sich hinter unserem Rücken.
    Wir werden ja noch sehen, wer zuletzt lacht!, dachte ich.
    Meinen Freunden sagte ich nur, dass sie schneller gehen sollten.
    Als wir es schließlich mit den Aschemonstern auf den Fersen aus dem Zentralbereich der Raffinerie hinausgeschafft hatten, holte ich das Feuerzeug aus meiner Tasche.
    Ich zündete es an und blickte in die Flamme.
    »Charles, das ist meine Art, dir Lebwohl zu sagen.«
    Ich ließ das Feuerzeug in die ölige Spur fallen, die wir hinter uns hergezogen hatten.
    »Los!«, schrie ich, als das Feuer begann, sich in die entgegengesetzte Richtung auszubreiten.
    Wir liefen zum Zaun, krabbelten wieder durch das Loch, das wir aufgeschnitten hatten, und überquerten die Straße, ohne uns nach Fahrzeugen umzublicken.
    Wir warfen uns in den Wagen und Leo fuhr mit quietschenden Reifen los.
    »Los, los!«, schrien wir, und der Wagen schoss auf die Landstraße wie eine verrückt gewordene Rakete.
    Wir brausten durch die Nacht, ohne zurückzublicken.
    Plötzlich warf ein gleißendes Licht seinen Schein auf die Straße und die Berge vor uns.
    Wie aus dem Nichts erschienen eine Morgendämmerung, ein Mittagshimmel und schließlich eine Abendstimmung vor unseren Augen. Und wir hatten sie erschaffen.
    Ich blickte blinzelnd in den Rückspiegel, nur um mich an dem brennenden Pilz zu weiden, der noch immer in die Wolken auffuhr und sie orangegelb leuchten ließ.
    Ich lächelte bitter und dachte: Hast du gesehen, Ludkar? Auch ich kann mit dem Feuer spielen.

Es war fast Morgen
    Ich weiß nicht, ob die Dunkelheit in jener Nacht wegen unserer Explosion schneller wich – als hätte man sie weggestoßen –, oder ob wir auf unserem Weg vierhundert Kilometer nach Osten dem Sonnenaufgang entgegengefahren waren, jedenfalls färbte sich der Himmel bereits rosa.
    Ich hatte das Fenster heruntergekurbelt und schnupperte die frische Luft, dabei stellte ich mir vor, es sei der Duft der Sonne, der Hoffnung.
    »Ich habe herausgefunden, dass auch ich eine Art Vampir bin«, sagte ich zu meinen Freunden und zog den Kopf wieder zurück.
    »Mach keine Witze, okay?«, schnaubte Leo, von dem ich eine solche Äußerung noch nie gehört hatte.
    »Es ist kein Witz. Ich bin ein Blumen-Vampir.«
    Christine, die in meiner Tasche gewühlt hatte, bestätigte, was ich gesagt hatte.
    »Es sei denn, sie raucht das ganze Zeug. Hier ist alles voller Rosen-, Jasmin- und Veilchentee.«
    »Von Blumen-Vampiren habe ich noch nie was gehört«, sagte Leo achselzuckend, »ich nenne dich lieber ›Dämmerwesen‹.«
    Meine Freunde schienen kein besonderes Interesse an diesem Thema zu haben. Und ich konnte sie verstehen. Sie hatten kein Auge zugemacht, unser Freund war abgeschlachtet worden, und vor drei Stunden hatten wir ein Verbrechen begangen, das uns mindestens fünfzig Jahre Knast einbringen konnte.
    Hinter den mittlerweile nahen Bergen wies uns ein Sonnenstrahl den Weg. Die elektronische Stimme des Navigationsgeräts informierte uns eher unpoetisch darüber, dass wir nach links abbiegen mussten.
    Auf einem bröckelnden Schild, das man nur noch mit Mühe entziffern konnte, stand: Willkommen in Moon’s Cave.
    Die Straße wurde zu einem Feldweg, und das Geholpere vertrieb die Müdigkeit, unter der wir litten. Wir fuhren zwischen Bäumen hindurch an einem Bretterzaun entlang, hinter dem man verlassene Holzhäuschen sah.
    »Das muss mal ein Feriendorf gewesen sein«, bemerkte Christine. »Und alles ist verfallen.«
    »Mein Vater und meine Mutter haben hier glückliche Tage verbracht.«
    »Natur und Stille. Kein Kabelfernsehen, kein Internet. Ein Albtraum«, meinte Leo.
    Am Ende der Straße kamen wir an einen Platz und eine Campingplatz-Einfahrt. Dort hielten wir an.
    Das Holztor war mit einer Kette verschlossen. Verblichene gelbe Absperrbänder, welche die Polizei wahrscheinlich vor Jahren dort angebracht hatte, flatterten im Wind wie die Schwänze toter Papierdrachen.
    Wir öffneten die Wagentüren und stiegen aus. Auf dem Gelände waren keinerlei Reifenspuren. Hier schien seit geraumer Zeit niemand mehr gewesen zu sein.
    Ich ging ein paar Schritte auf das gravierte Holzschild zu, das neben einem fünf Meter hohen Totem stand. Christine kam zu mir und deutete auf einen Zettel am Tor. Der Regen und die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher