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Arschloch!

Arschloch!

Titel: Arschloch!
Autoren: Mauricio Borinski
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bloß ein Scherz. Klar gehe ich zur Weihnachtsfeier!
    Ich freu mich schon auf den Abend. Das wird mein großer Auftritt. Da werde ich aller Welt zeigen, was für ein toller Kerl ich bin.
    Als ich die nächste Telefonzelle erreiche, habe ich mich in Otto Lilienthal verwandelt. Zweihundert Meter später in Michael Schumacher. In der Telefonzelle daneben bin ich Alice Schwarzer - deren Stimme durch den Stimmverzerrer irgendetwas von der Synchronstimme von Lisa Simpson hat und unglaublich lächerlich klingt. Ebenso wie die von Elke Heidenreich, in die ich mich gleich danach verwandele. Ich knalle den Telefonhörer auf, rufe gleich danach erneut bei Anne an und verpasse ihr durch die Identität von Max Schmeling den Knockout. Sie bricht in Tränen aus.
    „Wer sind Sie? Wieso lassen Sie mich nicht in Ruhe?“, schluchzt sie. Ich komme mir vor wie in den Horrorfilmen >Scream< - gleich alle drei Teile auf einmal, was das Gefühl um ein vielfaches intensiviert - halte mir den Verzerrer vor den Mund und sage - mit einer Stimme, die irgendetwas von der Synchronstimme von HAL 9000, dem Computer des Raumschiffs Discovery im Film >2001: Odyssee im Weltraum<, hat: „Weil du arm bist, bin ich derjenige, der dich zwickt. Derjenige, der dich belästigt. Derjenige, der was von dir will, wenn du Ruhe benötigst. Derjenige, der dir nicht aufhilft, wenn du am Boden liegst. Ich lasse dich niemals in Ruhe. Bis du stirbst. ICH BIN DEUTSCHLAND!“
    16.12.2005
    Während mein Powerbook meinen Film – die Version für meine Arbeitskollegen und Freunde – auf DVD brennt, chatte ich mit Anne.
    dr. no: 18.25.04
meine teure, darf ich Sie fragen, wie Sie das weihnachtsfest verbringen werden?
    mayday: 18.25.09
mein lieber dr. no., als uneheliches kind, unerwünscht und ungeliebt, zudem tyrannisiert von terroristen, bleibt einem nichts, als die ungeheure einsamkeit. ich werde alleine feiern. wenn man das feiern nennen kann.
    dr. no: 18.25.17
aber haben Sie denn niemanden? wirklich niemanden?
    mayday: 18.25.23
nein, zu meiner schande, kenne ich meinen vater nicht und meine mutter ist mal wieder im haus des leids an ein bett gefesselt. wie Sie unschwer erkennen können, gibt es keine alternativen. glückselig, wer niemals im leben leid gekostet!
    dr. no: 18.25.42
doch diesem bleibt nur die langeweile, welche man auch nicht unbedingt als schön bezeichnen kann.
    mayday: 18.26.00
ewige langeweile ist besser als ewiges leid. für mich gibt‘s keine schmerzen, keine schicksalsschläge, keine schmach und schande, die mir nicht begegnet sind. ich wurde gar wegen mordes angezeigt.
    dr. no: 18.26.27
was lese ich da? Sie? aber was haben Sie nur getan?
    mayday: 18.26.34
es ist grässlich. meine teure frau mama hat mich wegen mordes angezeigt.
    dr. no: 18.26.37
und wem sollen Sie das leben ausgehaucht haben?
    mayday: 18.26.43
Ihr höchstpersönlich. ich nahm ihr das leben, als ich geboren wurde. o weh! wer so heimgesucht vom leid wie ich, für den ist früher tod nichts als erlösung.
    An der Eingangstür des Sushi-Restaurants klebt ein Zettel. Auf dem steht: „Geschlossene Gesellschaft“
    Ich ziehe die Tür auf, betrete das Restaurant und blicke mich um. Der niedrige Raum wirkt steril, in Zeitschriften wird so etwas als minimalistisch bezeichnet, als cool und stylish. Genau wie in meiner Wohnung, die Mounia hoffentlich in der nächsten Woche aufräumen wird. Das Licht ist gedimmt, graue Fliesen zieren den Boden und die schwarzen Designertische sind zu einem großen, U-förmigen Tisch aufgestellt. Es gibt keine Tischdecken. Rote Sets liegen auf dem schwarzen Holz und definieren den jeweiligen Sitzplatz. Es sind knapp vierzig Leute anwesend und heute sehen alle aus, als seien sie fleißige Bienchen. Anne ist nicht da und Thomas selbstverständlich auch nicht. Sie ist immer noch krankgeschrieben und bei ihm wird es noch ein paar Wochen dauern, bis er sich wieder ohne Hilfe bewegen kann.
    Mein Chef, wie immer in einem wunderschönen Anzug, kommt auf mich zu und schüttelt mir die Hand, verschränkt seinen linken Arm hinter seinem Rücken, verbeugt sich vor mir, nippt an seinem Wodka-Lemon, stellt ihn auf einen Tisch und erklärt mir die Regeln des Abends: „Du warst ja schon mal bei unserer Weihnachtsfeier, aber ich möchte dich daran erinnern, dass du heute soviel saufen musst, wie es nur geht. Und du kannst dich auch vollkommen daneben benehmen. Heute ist alles erlaubt.“ In seinen Nasenhaaren haben sich weiße Körner festgesetzt. Wie
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