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Aristoteles: Lehrer des Abendlandes (German Edition)

Aristoteles: Lehrer des Abendlandes (German Edition)

Titel: Aristoteles: Lehrer des Abendlandes (German Edition)
Autoren: Hellmut Flashar
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Gesundheit, bei der Schiffsbaukunst das Schiff usw. Aristoteles fragt nun, ob es ein oberstes Gut gibt, ein Endziel, das nicht partikular durch Ausübung einer berufsmäßigen Tätigkeit und auch nicht als Mittel für einen noch übergeordneten Zweck erstrebt wird, sondern das das oberste Ziel für den Menschen als Menschen ist.
    Zuständig für eine darauf gerichtete Untersuchung ist die «Politikwissenschaft» (EN I 1, 1094 a 27), weil das oberste Ziel menschlichen Handelns zwar für den Einzelnen und für das Gemeinwesen identisch ist, aber am Gemeinwesen (Aristoteles sagt: an der Polis) in größerem Maßstab und vollständiger in Erscheinung tritt. Insofern stimmt Aristoteles mit Platon überein, er fügt aber das Wort «für ein Volk» hinzu, um mit diesem einen Wort einen bei ihm ganz seltenen Schritt über den Horizont der Polis hinaus zu gehen. In aller Regel bindet Aristoteles die praktische Philosophie an das Gebilde der griechischen Polis. ‹Ethik› ist für Aristoteles jedenfalls praktische Philosophie, und es kommt ihm nicht nur auf das Erkennen, sondern auf das Handeln an (II 2, 1103 b 26).
    Vor Eintritt in die Sacherörterung macht Aristoteles zwei methodische Bemerkungen, die im Übrigen zeigen, dass der Darstellung eine Vorlesung zugrunde liegt, denn es ist vom «Hörer» und vom «Aufnehmen der Einzelheiten des Gesagten» die Rede (I 1, 1094 b 22; 1095 a 2). Es geht um das Zurückweisen eines unangemessenen Exaktheitsanspruches. Der Grad der Genauigkeit hat sich nach dem Gegenstand zu richten, und im Bereiche der Ethik gibt es so viele Schwankungen, dass die Darstellung nur umrisshaft sein kann, so wie man vom Redner keine wissenschaftlichen Beweise fordern darf, sich umgekehrt aber im Bereich der Mathematik nicht mit bloßen Überredungen begnügen wird. Die aristotelische Ethik ist jedenfalls keine Ethik more geometrico (Spinoza), sondern Vermittlung von Grundriss-Wissen,[ 4 ] wobei alles Schematische sich angesichts der Fülle der Exempla aus Tradition und Leben nicht aufdrängt.
    Die zweite methodische Bemerkung betrifft den Hörer. Die Vorlesung über Fragen der Ethik richtet sich nicht an den jungen und den unreifen Hörer, wobei die Zahl der Jahre nicht so entscheidend ist wie der Grad der Reife und der Lebenserfahrung. Eine bloße Belehrung kann also im ungünstigen Fall ohne Gewinn bleiben, wie umgekehrt unter den entsprechenden Voraussetzungen «das Wissen um diese Gegenstände von vielfältigem Nutzen sein dürfte», wie Aristoteles selbstbewusst und durchaus auch werbend innerhalb des Schulbetriebs ausführt (I 1, 1095 a 11).
    Gleich zu Beginn der Sacherörterung benennt Aristoteles das eingangs als gesucht bezeichnete Ziel allen menschlichen Handelns mit dem einen Wort: Eudaimonia, «Glück», wobei dieser Begriff, wie Aristoteles hinzufügt, gutes Leben und gutes Handeln einschließt. Das bloße Wort aber bleibt inhaltsleer, und eine nähere Bestimmung dieses «Glücks» sucht Aristoteles, wie er es auf allen Wissensgebieten zu tun pflegt, durch eine Musterung der in der Tradition vorgegebenen Antworten. Und in der Tat ist ja mit dem Wort «Eudaimonia» der Inbegriff aller ethischen Überlegungen von der archaischen Dichtung an bezeichnet. Aber die verschiedenen Antworten (Lust, Wohlstand, Ehre) befriedigen nicht, auch nicht die Ableitung des für den Menschen zu erstrebenden Ziels allen Handelns aus einer Idee des Guten im Sinne Platons, wohl aber stecken in den gängigen «Lebensformen» (I 3, 1095 b 15) mögliche Antworten, zwar nicht im Genussleben und im dem Erwerb von Reichtum gewidmeten Leben, aber sowohl in der politischen wie in der theoretischen Lebensform. Aristoteles lässt jedoch diesen Faden der Erörterung liegen, um sich einer ausgedehnten Platonkritik zuzuwenden,[ 5 ] in der fünf Argumente gegen die platonische Lehre und anschließend Einwände gegen die Kritik diskutiert werden. Berühmt geworden ist die Einleitung zu dieser Kritik:
Es wird vielmehr zweckdienlich sein, das oberste Gut, sofern es als allgemeine Wesenheit gedacht wird, zu betrachten und zu zergliedern, wie dies gemeint sei. Freilich wird dies eine peinliche Aufgabe, weil es Freunde von uns sind, welche die Ideen eingeführt haben. Und doch ist es zweifellos besser, ja notwendig, zur Rettung der Wahrheit sogar das zu beseitigen, was uns ans Herz gewachsen ist, zudem wir Philosophen sind. Beides ist uns lieb – und doch ist es heilige Pflicht, der Wahrheit den Vorzug zu geben (I 4, 1096 a 11–1097 a
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