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Aristoteles: Lehrer des Abendlandes (German Edition)

Aristoteles: Lehrer des Abendlandes (German Edition)

Titel: Aristoteles: Lehrer des Abendlandes (German Edition)
Autoren: Hellmut Flashar
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höhere Glied des irrationalen und das niedere Glied des rationalen Teiles ineinander.
    In dem so entstehenden Mittelfeld siedelt Aristoteles die ethischen Tugenden an. Über Platon hinausgehend, für den alle Tugenden Formen des Wissens sind, differenziert Aristoteles zwischen zwei Arten von Tugenden, den ethischen und den dianoetischen, rein intellektuellen Tugenden, welche dem obersten Seelenteil entsprechen. Damit ist der weitere Aufbau der Ethik skizziert. Die Bücher II bis V handeln von den ethischen, das Buch VI von den dianoetischen Tugenden.
    Zwischen diese Distinktionen stellt Aristoteles noch im ersten Buch der Nikomachischen Ethik einige zusätzliche Elemente, die das volle Glück im Sinne der Ausübung der Tugenden erweitern, zum Teil unter ausdrücklichem Rückgriff auf traditionelle Meinungen (I 8, 1098 b 10). Es sind vor allem zwei Aspekte, die eine Rolle spielen: Lust bzw. Freude und ein gewisses Maß an äußerer Ausstattung. Aristoteles ist dabei bemüht, seine Definition von Glück als oberstem Gut möglichst stark mit traditionellen Anschauungen in Einklang zu bringen. Bei der «Lust» bzw. «Freude» (das griechische Wortbezeichnet beides) ist dies evident. Aristoteles integriert dieses Moment – über die Lust wird er später ausführlich handeln –, indem er es in die Handlungen gemäß der Tugend hineinnimmt und die sittlich wertvollen Handlungen als solche lustvoll nennt (I 9, 1099 a 21). Wer keine Freude an gerechten Taten hat, wer lustlos großzügig ist, den kann man nicht glücklich nennen. Dahinter steckt eine für Aristoteles angesichts seines eigenen Schicksals erstaunliche Lebensbejahung, wie sie sich pointiert ausgedrückt findet in den Worten: «Es ist auch das Leben in sich selbst lustvoll» (I 9, 1099 a 7), ganz im Unterschied zu der pessimistischen Attitüde Platons, das irdische Leben in der Orientierung am Jenseits zu relativieren.
    Fern jedem Rigorismus gesteht Aristoteles dann durchaus zu, dass zum Glück auch ein gewisses Maß an äußerer Ausstattung gehört (I 9, 1099 a 31–b 8). Wer völlig mittellos ist, ganz einsam lebt, nicht Freunde oder Familie hat, den kann man nicht glücklich nennen. Es gehören günstige Umstände, wörtlich: «gutes Wetter»I 9, 1099 b 7) dazu.
    Schließlich greift Aristoteles noch einmal die Bestimmung auf, von einem glücklichen Leben könne nur in einem vollen Lebensverlauf die Rede sein. Soll man wirklich das Ende abwarten, ehe man einen Menschen glücklich nennen kann? Aristoteles ist pragmatisch genug, dieses strenge Postulat zu lockern, zumal das Glück sich doch gerade nach seiner Definition im Handeln und damit nicht erst angesichts des Todes ergeben soll. Offenbar hat es gerade über diese Frage eine lebhafte Diskussion gegeben. Wiederholt weist Aristoteles darauf hin, dass in dieser Hinsicht Einwände und Aporien bestehen (I 11, 1100 a 18 und 21).
    Damit ist die Grundkonzeption der Ethik vorgestellt und begründet. Im vollen Sinne kann man von einer Ethik aber erst sprechen, wenn der Hauptbegriff Arete («Tugend», «Tüchtigkeit») näher expliziert ist.
    E THISCHE T UGENDEN I
    Was Tugend ( Arete ) wirklich ist und unter welchen Voraussetzungen sie dem Menschen zu Gebote steht, wird anschließend erörtert. Dabei erfahren wir auch, was Aristoteles unter Ethos (als Grundwort für Ethik) versteht: eine feste Grundhaltung des Charakters, die sich aus Gewöhnung ergibt. Das lässt sich im Griechischen einleuchtender zeigen, da das griechische Wort für «Gewöhnung» ethosmit kurzem e) heißt und «Ethos»mit langem e) dazu die Dehnstufe darstellt, so dass der Weg von der Gewöhnung zum Ethos derjenige von ěthos zu ēthos ist.
    Gewöhnung ist, so argumentiert Aristoteles, eine anthropologische Kategorie, die sich nicht im Bereiche der Natur findet. Ein in die Höhe gehaltener Stein wird immer fallen; keine Gewöhnung bringt ihn dazu zu steigen. Naturgegeben für den Menschen ist lediglich, die Anlage zu haben, durch unablässige Gewöhnung zu einer Fähigkeit zu gelangen, etwa beim Erlernen eines Instrumentes. Man wird also durch gerechtes Handeln in einer Folge von Einzelhandlungen gerecht und analog durch besonnenes Handeln besonnen im Sinne einer gefestigten Grundhaltung als Ergebnis einer Gewöhnung. Dieser Prozess, der sich inmitten der Gesellschaft vollzieht, erfordert – so argumentiert Aristoteles – eine Darstellungsweise, die sachangemessen der Schwankungsbreite im Bereiche des menschlichen Handelns Rechnung
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