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Arbeit und Struktur - Der Blog

Arbeit und Struktur - Der Blog

Titel: Arbeit und Struktur - Der Blog
Autoren: Wolfgang Herrndorf
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in jedem Geräusch, in jedem Knistern, Schaben und Schleifen, im Singen eines Autoreifens, im Sprudeln des Wassers Gedanken glauben ausgesprochen zu finden: nicht nachmachen. Nicht kaufen. Für alle anderen: Auch nicht kaufen.

    Als Jugendlicher mit Dada sozialisiert worden, rätselhaft. Aber exakt so sieht es über weitere Strecken des Tages in meinem Hirn aus, das brauch ich nicht noch als Buch.

    2.2. 2013 3:25

    Ich stehe in der Steppe, ein Löwe schleicht um mich herum, aber ich habe keine Angst. Ich habe eine großkalibrige Flinte und einen sechsschüssigen Revolver. Als das Tier nahe genug ist, schieße ich, Kugel für Kugel geht fehl. Erst mit der letzten Patrone treffe ich, und der Löwe kippt auf die Seite und ist tot.

    Hinter dem Löwen her schleppt sich ein tollwütiger Fuchs auf mich zu. Ich wechsle zum Revolver. Der Fuchs ist schwieriger zu treffen, weil er dünner ist. Er hat Schaum vorm Maul und taumelt. Ich habe keine Munition mehr. In Panik flüchte ich in ein Haus und verschanze mich im Bad. Wie ein Geist weht der Fuchs durch eine Ritze in der Wand zu mir herein und versteckt sich hinter der Tür. Ich habe nur noch eine Gabel. Damit stochere ich blind hinterm Türblatt herum. Endlich spüre ich einen fellüberzogenen weichen Widerstand. Die Gabel steckt zwischen den Rippen des Fuchses. Er verendet. Ich werfe den Kadaver ins Waschbecken. Das ganze Bad ist blutbesudelt. Beim Putzen frage ich mich, ob ich mich infiziert habe. Ich kann keinen Notarzt erreichen.

    Tollwütige Füchse sind eine Kinderangst von mir. Kühe, tollwütige Füchse, durch das Fensterglas schwebende Gespenster, Einbrecher, Mitschnacker (Pädophile). In dieser Reihenfolge.

    Nach meinem Umzug nach Berlin sprang ich nachts noch einmal aus anderthalb Metern Entfernung auf mein Bett, weil ich nicht wußte, was darunter war. Ein Mann von 33 Jahren.

    6.2. 2013 5:50

    Der Sonnenaufgang verschiebt sich immer weiter in die Nacht. Ich muß jeden Tag früher aufstehen, um mit einem Tee in der Hand auf den ersten Lichtstrahl am dunklen Himmel zu starren. Ich will im Winter sterben. Das haben die letzten Sommer gezeigt, im Sommer geht es nicht. Im Winter ist es leicht.

    7.2. 2013 18:18

    Unter der Brücke loht ein haushohes Feuer, wahrscheinlich die Baustelle. Sattes Orange, vom warmen Blaulicht bedrängt und gelöscht, Naturalismus, frühes 19. Jh., Turner vielleicht, dann schwarzes Quadrat auf schwarzem Grund.

    Demnächst an dieser Stelle: Nichts vor Nichts (o. Abb.).

    11.2. 2013 15:48

    Papst zurückgetreten, Name vergessen.

    11.2. 2013 17:00

    Ein dünner epileptischer Firnis überzieht meine Tage, immerzu Stimmen.

    Und Selbstmord doch nicht so schwierig, wie ich lange dachte. Es reicht, die Föhrer Straße bei Grün zu überqueren. Weder Linksabbieger noch Geradeausfahrer erkennen in den verschieden bunten Lichtern etwas anderes als einen unverbindlichen Vorschlag der Behörden.

    15.2.2013 19:00

    Kleine Brouillerie mit Lottchen. Über Tscheljabinsk ist ein Zehn-Tonnen-Meteorit explodiert, etwa tausend Verletzte durch die Druckwelle. In einem zugefrorenen See ein Loch, aus dem sich für einen Moment ein schleimig-grüner Arm heraustastet, von den Kameras nicht bemerkt.

    C. ist deutlich weniger begeistert als ich, und auch mein Versuch, den nur wenige Stunden später an der Erde so nah wie lange nichts mehr, auf Satellitenhöhe, vorbeischrammenden 13.000-Tonnen-Asteroiden 2012 DA 14 mit meinen Gedanken zu uns hinunterzulenken, findet nicht ihren Beifall.

    18.2. 2013 12:33

    Man rät mir zum GPS-Handy, hilft nichts. Ich kann C. doch anrufen, das mache ich ja, ich lese die Straßennamen und sage, ich stehe an der und der Kreuzung, rechts geht es in den Tegeler Weg. C.s Informationen kann ich nicht auf die Landschaft übertragen. Ich kann den Tegeler Weg nicht runtergehen, denn er hat zwei Richtungen. Man kann mir ein Gerät in die Hand drücken, auf dem ein grüner Pfeil die Richtung zeigt, in die ich muß: Ich kann dem Pfeil nicht folgen. Lars hab ich das mal vorgemacht, wie ich mit einem Kompaß in meiner Wohnung Norden suche, um aus dem Fenster in die Richtung gucken zu können, aus der das Gewitter kommen wird – funktioniert nicht. Ich weiß immer noch nicht, wo Norden ist. Norden ist ein 180-Grad-Winkel etwa.

    Zahlen sind komplett weg. Das Kleine Einmaleins ist noch da, weil es nicht Rechnen ist, sondern Erinnerung. Aber Zahlen: Null.

    Einfache Multiplikation nicht im Kopf, nicht auf Papier und auch nicht anders. Wenn
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