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Arbeit und Struktur - Der Blog

Arbeit und Struktur - Der Blog

Titel: Arbeit und Struktur - Der Blog
Autoren: Wolfgang Herrndorf
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nur.

    Sind Sie der ?

    Ja, bin ich.

    Sie müssen drei Fragen beantworten.

    Wer spricht da, bitte?

    Deneb. Die Hausaufgabe ist nämlich der Lebenslauf, Heirat zum Beispiel. Da steht nichts auf Wikipedia.

    Ich beantworte keine Fragen.

    Schweigen.

    Am Ende meine Bitte an Deneb, der verantwortlichen Lehrkraft auszurichten, sich die Hausaufgabe in den verblödeten Arsch zu stecken. Sag ihr, daß ich das gesagt habe, sage ich. Und vergiß nicht das mit dem Arsch.

    Bitten um eine Inhaltsangabe kommen häufiger. Aber im Moment scheint irgendwo ein Formular zu kursieren, das so beknackt ist, daß es eigentlich nur aus einem dieser Bücher für geistig unbeschenkte Lehrer stammen kann: Wie sieht das Leben des Autors aus? Biografie? Und hier die für das Textverständnis besonders wichtige Frage: Familienstand?

    18.1. 2013 8:00

    Morgens vom Tod Jakob Arjounis gelesen und mit sonderbar unpassender Beschwingtheit das Haus verlassen und auf den Weg zu Dr. Vier gemacht.

    18.1. 2013 11:50

    Wieder Gespenster, wieder Stimmen im Kopf. Hier, sagt die Apothekerin, hier bin ich.

    18.1. 2013 16:37

    Die sehr gute Geschichte “In Frieden” von Arjouni auf Youtube angehört. Blumen. Erde. Und der ganze Scheiß.

    18.1. 2013 19:07

    Das Radio spricht mit mir. Neben mir im Bett liegt der Stoffhase. Wir sind fast genau gleich alt, und gemeinsam kämpfen wir gegen den Anfall. Die Uhr zählt die Minuten.

Sechsunddreißig : 

    25.1. 2013 8:19

    In den Schild aus Eisschollen, der sich von Tag zu Tag weiter und bis hinter die Signalbrücke zurückstaute, schiebt der Eisbrecher eine schmale Fahrrinne. Sie wird immer schmaler, über Nacht schließt sie sich.

    Morgens kann ich kaum sprechen. Wörter mit vier oder mehr Silben kann ich nicht sagen, oft nicht denken. Prognositizieren – im dritten Versuch macht Google einen passenden Vorschlag. Problem immer Verteilung der Konsonanten.

    26.1. 2013 19:42

    Allein auf dem See. Weiß das Ufer, schwach orange der Vollmond, hinten ist eine Fläche für Eishockey freigeschoben.

    27.1. 2013 15:30

    Leichter Schneefall, herrlicher Tag, Eine Aufregung wie als Kind. Mit vier hatte ich meine ersten Schlittschuhe. Seitdem immer gelaufen, jeden Winter, jeden Tag, wenn Eis war. Im Winter Eishockey, im Sommer Rollhockey, manchmal zehn oder elf Stunden am Tag, bis Arthrose beide Knie auflöste und mich für lange Jahre zum Fußgänger machte.

    Aber zwanzig Jahre habe ich immer Schlittschuhe und Rollschuhe bei jedem Umzug mitgeschleppt. Alles andere weggeschmissen, meine Bilder, Möbel, Bücher, Papiere, alles. Die Schuhe nicht.

    Nun sitze ich mit getapeten Knien am Rand des Plötzensees, schnüre die Eishockeystiefel und weiß, es ist das letzte Mal.
    Mit dem Aufstehen kehrt sofort das alte Selbstvertrauen zurück, und ich weiß, es wird gehen. Ich habe nichts vergessen und nichts verlernt. Aber es geht nicht. Ich schliddere nur so rum.

    Der rechte Fuß funktioniert einigermaßen, der linke ist taub und teilt seine Gelenkstellung nicht mit. Die gut geölten Bewegungsroutinen, die das Hirn nach unten meldet, finden keinen Empfänger. Ich kann es nicht mal beschreiben. Analog zum Phantomschmerz vielleicht: Phantomkontrolle. Wenn ich noch einige Stunden übte – aber meine Freunde wollen nach Hause. Wayne Gretzky ist nicht mehr.

    30.1. 2013 19:00

    Im Dunkel versucht, auf einem mir vorher auf Google Earth genau eingeprägten Weg zu C. zu gelangen. Nach vierstündigem Fußmarsch, von Schnellstraßen und Autobahnzubringern umzingelt, aufgegeben und mit dem Taxi zurück. Zu Hause auf der Karte gesehen, daß ich nur 150 Meter von der Schneckenbrücke entfernt gewesen war.

    31.1. 2013 17:19

    Lektüre: Nadja von Breton, 1928 geschrieben, 1963 überarbeitet, 20 Auflagen, neu übersetzt, Nachwort von Karl Heinz Bohrer, Meilenstein der Moderne, Rezensionen, FAZ, SZ, ich versteh’s nicht. Perlentaucher dazu, deutsche und französische Wikipedia, ich verliere fast den Verstand, Riesenangst, wieder verrückt geworden zu sein. Eine Stunde nachgedacht, ob es nicht besser wäre, niemanden zu informieren, Gesundheit zu simulieren, ob die Simulation von Gesundheit nicht ebensogut sei wie normalmäßige Normalität, ob diese aus jener sich nicht von selbst über kurz oder lang zwangsläufig ergebe, dann in Panik Reiber angerufen, um auf der Stelle beruhigt zu werden, ah ja, ok, ja, denkt er auch, kann ich nicht überprüfen, irre, jetzt vorbei, Buch in den Müll geworfen, Teufelswerk.

    Für Hirngeschädigte, die
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