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Arabiens Stunde der Wahrheit

Arabiens Stunde der Wahrheit

Titel: Arabiens Stunde der Wahrheit
Autoren: Peter Scholl-Latour
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verschwörerischen Abgründen der islamisch-schiitischen Welt. In Persien hatte man mir immer wieder von dem »Alten vom Berge« erzählt, der von seiner Gebirgsfestung Alamut aus gewütet hatte. Hassan el-Sabah war im elften Jahrhundert in der Heiligen Stadt Qom geboren, wechselte von der Zwölfer-Schia zur Siebener-Schia über, sammelte fanatische Jünger um sich, die er in einer klösterlichen Kaserne ausbildete und die als Terroristen ausschwärmten, um im Namen Allahs und einer angeblich im Koran vorprogrammierten Gerechtigkeit die Mächtigen und die Reichen dieser Welt umzubringen.
    Â»Die Perser mögen ihren Alamut-Helden als ›Alten vom Berg‹ bezeichnen«, belehrte mich mein erstaunlich gut informierter Begleiter. »Der wahre ›Scheikh el-Jebl‹ ist bei uns beheimatet. Er hat die Kreuzritter heimgesucht und das damalige muslimische Establishment das Fürchten gelehrt. Er hieß Sinan Ben Salman und war ebenfalls Siebener-Schiit, also ein ›Ismaelit‹ gewesen – aus Mesopotamien gebürtig.« Für die Alawiten von heute gelte er weiterhin als eine Art Leitbild und Prophet. Die geheimnisvolle Figur Salman, die in der alawitischen Dreifaltigkeit verehrt und oft mit König Salomon verwechselt wird, sei kein anderer als dieser Terroristenführeraus dem Jebl Ansarieh, dieser mittelalterliche Carlos. Angeblich hätte er seine verzückten Gefolgsleute, die sich – nur mit dem Dolch bewaffnet – unter Preisgabe der eigenen Person auf ihre Opfer stürzten, durch den Genuß von Haschisch und die Vorspiegelung paradiesischer Visionen in Trance versetzt. Deshalb habe man diese Attentäter als »Haschischinen« bezeichnet, woraus die Kreuzritter das Wort »Assassinen« gemacht hätten.
    Der assyrische Fahrer Samuel schweifte in die Gegenwart ab. »Aufs Morden verstehen sich unsere Alawiten bis heute«, flüsterte er, nachdem er sich vergewissert hatte, daß niemand ihn hören konnte. Aber an seinem Vorläufer aus dem zwölften Jahrhundert gemessen, sei Hafez el-Assad nur ein Dilettant. Der Fatimiden-­Kalif El Amir in Kairo und der Abassiden-Kalif El Mustarschid in Bagdad, die beiden Statthalter Allahs auf Erden, seien damals von den Haschischinen erdolcht worden, aufwühlende Ereignisse, die sich allenfalls mit der Ermordung des ägyptischen Präsidenten ­Sadat vergleichen ließen.
    Unter den christlichen Fürsten seien König Konrad von Jerusalem und Prinz Raimund von Antiochia den Assassinen zum Opfer gefallen. Sogar der sieghafte Sultan Saladin, Herrscher über Syrien und Ägypten, habe sich mit knapper Not einem Anschlag entzogen und von nun an seine Nächte in einem streng bewachten, transportierbaren Holzturm verbracht. »Sie sehen, welch seltsame Fäden schon zur Zeit der Kreuzritter zwischen den Schiiten Persiens und Syriens, zwischen Alamut und Ansarieh gesponnen wurden. Die ­eigentlichen Siebener-Schiiten, die Ismaeliten Syriens, die den sehr mondänen Karim Aga Khan als religiöses Oberhaupt verehren, sind heute nur noch eine friedliche Restgemeinde von dreißigtausend Fellachen. Die Alawiten hingegen sorgen für historische Kontinuität. ›Ein einziger Krieger zu Fuß‹, so hieß es in den Heldenliedern der Assassinen, ›wird zum Schrecken des Königs, auch wenn dieser über hunderttausend bewaffnete Reiter verfügt‹«.
    Als wir am späten Abend die Stadtgrenze von Damaskus erreichten, war die Autobahn durch Armeekonvois verstopft. Ein alawitischer Milizionär, den lediglich die Kalaschnikow als Ordnungswächterauswies, inspizierte unseren Kofferraum nach Waffen und Sprengstoff. Mit einem Grinsen wünschte er uns »Bon voyage«. Als Ausländer wurde ich bevorzugt behandelt, aber Samuel wollte bei mir keine Illusion aufkommen lassen. Er hatte als »Dhimmi«, als Christ, die verächtliche Toleranz der Muslime zu spüren bekommen. »Erinnern Sie sich stets an den Vers aus der Sure ›El Maida‹ des Korans«, ermahnte er mich. Da heißt es: »O ihr Gläubigen, befreundet euch nicht mit den Juden und den Christen. Wer sich mit ihnen befreundet, wird einer von ihnen. Allah verweigerte seine Führung der Gemeinschaft der Ungerechten.«
    *
    Die grauenhafte Vernichtung der aufsässigen Stadt Hama im Fe­bruar 1982 hatte sich wie ein bleierner Sargdeckel auf die Republik Syrien gelegt.
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