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Arabiens Stunde der Wahrheit

Arabiens Stunde der Wahrheit

Titel: Arabiens Stunde der Wahrheit
Autoren: Peter Scholl-Latour
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Von Anschlägen der »Ikhwan« gegen das Regime des General Assad war sehr bald nicht mehr die Rede. Während des Bürgerkrieges im Libanon – wenn der Flugplatz Beirut unter Beschuß geriet und gesperrt wurde – bin ich häufig nach Damaskus ausgewichen, um nach Europa zu fliegen. Es stellte sich dort ein Zustand erzwungener Normalität ein, der auch durch den verhängnisvollen Eroberungsfeldzug Israels im Jahr 1982, den der Verteidigungsminister Ariel Scharon mit der Besetzung Beiruts zu krönen glaubte, kaum getrübt wurde.
    In Damaskus, wo man den Palästinensern Yassir Arafats stets mit Mißtrauen begegnet war, nahm man sogar mit Befriedigung zur Kenntnis, daß nach Landung westlicher Truppenkontingente, vor allem amerikanischer Marines und französischer Fallschirmjäger, die palästinensischen Milizen entwaffnet und auf alliierten Schiffen in diverse arabische Staaten verfrachtet wurden. Der PLO-Chef war mit französischer Hilfe aus dem belagerten Flüchtlingslager bei Trablos nach Tunis entkommen. Hafez el-Assad, der enge Beziehungen zu Teheran unterhielt, fand im Süden der Zedernrepublik einen neuen Alliierten, die massive schiitische »Taifa«, die sich zunächst in der Amal-Partei unter strikter syrischer Regie organisierte. Ihr Vor­sitzenderNabih Berri war sogar Mitglied des syrischen Politbüros der Baath-Partei. Nach und nach wurde sie von der Hizbullah in ihrer streitbaren Abwehrhaltung überflügelt. Die »Partei Gottes« verehrte die Person des Ayatollah Khomeini weiterhin als einen gottgesandten Inspirator. Ihre Teilnahme am Konflikt um das Heilige Land würde diesen Krisenherd mit zusätzlicher Spannkraft aufladen.
    Bis in den Herbst 2009, als ich das letzte Mal in Damaskus weilte, präsentierte sich Syrien für den unbefangenen Reisenden als gastliches Land. Jedes Ziel stand zur Besichtigung frei. Die Verwaltungsformalitäten für Ausländer waren kulant. Daß mein jeweiliger Begleiter, mit dem ich beliebig über Land fuhr, irgendeinem der zahllosen Geheimdienste angehörte, störte mich nicht sonderlich. Das Gefühl, auf diskrete, höfliche Weise stets überwacht und beobachtet zu sein, hatte auch etwas Beruhigendes. Wem in Syrien etwas zustieß, der hatte es in den meisten Fällen sich selbst, seiner Unerfahrenheit oder einem verdächtigen Wissensdurst zuzuschreiben. Das System war so engmaschig, daß eine alteingesessene Engländerin meiner Frau den Rat erteilte, beim Alleingang durch den Suq und im Falle irgendeiner Belästigung durch männliche Passanten nur den Ruf »Mukhabarat«, das heißt »Geheimdienst«, auszustoßen, um jeden Rüpel in die Flucht zu schlagen.
    Es konnte aber auch unheimlicher kommen. Um 1990 hatte der damalige deutsche Militärattaché mich auf sehr gastliche Weise zu einer gemeinsamen Autofahrt in den südlichsten Zipfel der Re­publik, in den Djebl Drus – das Drusengebirge, das die Baath-Partei in »Djebl Arab« umgetauft hatte – eingeladen. Der deutsche Oberstleutnant, so merkte ich bald, war weniger interessiert an den herrlichen Mosaikböden und Säulen der verfallenen Villen des ­Römischen Reiches in dieser Region, die man einst »Dekapolis« nannte. Er diktierte hingegen, jedesmal wenn er einen syrischen Panzer, irgendwelche militärischen Befestigungsarbeiten oder Truppentransporte sichtete, seine Wahrnehmung unter präziser Ortsangabe in sein Tonbandgerät. Mir kam der Gedanke, daß ein syrischer Lauschdienst in dem Dienstwagen der Botschaft eine »Wanze«, ein Abhörgerät, eingebaut haben könnte, aber um nicht vorlautzu wirken, enthielt ich mich jeder Bemerkung. Besagter Militärattaché ist ein paar Wochen später bei einem Autounfall ums Leben gekommen, und das Gerücht ging um, es habe sich dabei um eine gezielte Tötung gehandelt.
    Von der Fülle seiner Macht hatte der Löwe Assad seit seinem Putsch kein Quentchen abgegeben – darin stimmten alle überein –, und um seinen unverminderten Herrschaftsanspruch zu betonen, waren seine gigantischen Poster, seine Bronzebüsten, seine Steinmonumente mit der wohlwollend zuwinkenden Hand aus keiner Amtsstube, keinem Dorfplatz, keiner größeren Straßenkreuzung fortzudenken. Aus dem Monopol des Personenkultes war vorübergehend eine »Triarchie« – manche spotteten: eine
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