Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Arabiens Stunde der Wahrheit

Arabiens Stunde der Wahrheit

Titel: Arabiens Stunde der Wahrheit
Autoren: Peter Scholl-Latour
Vom Netzwerk:
selbst. In der holzgetäfelten, einst so komfortablen Bar, die altmodisches Pariser Flair besaß, wurden lauwarme Drinks von abgestumpften Kellnern in verdreckten Hemden serviert. Das Publikum verbreitete tiefe Traurigkeit. Neben ein paar angelsächsischen Sonderlingen, die bei ihrem Nostalgietrip extreme Un­bequemlichkeit und Schlimmeres auf sich nahmen, tuschelten dü­stere Gestalten undefinierbarer Nationalität in exotischen Idiomen. Ob hier große Abschlüsse getätigt wurden, mußte bezweifelt werden. Dafür waren die Visagen doch zu grob und das Auftreten allzu schmierig. Ich hatte eher den Eindruck, daß sich Zuhälter und kleine Schieber ein Stelldichein gaben, während die Bosse der einflußreichen Gangs sich in den stillosen Luxussuiten des relativ neuen »Sham-Hotels« einquartiert hatten. Von dessen oberen Etagen blickte man auf die Neubauviertel der auf drei Millionen Einwohner angeschwollenen Stadt Aleppo. Die Zitadelle historischen Ruhms war nur in dunstigen Umrissen zu erkennen. Dagegen breitete sich auf den flachen Hochhausterrassen im nahen Umkreis eine dichte Plantage von Parabolantennen aus. Sie wirkten wie riesige Pilze aus Blech, wie eine giftige Auswucherung. Von einer akuten Aufstandsgefahr war nichts mehr zu spüren. Offenbar konnte sich das Regime auf das einschüchternde Aufgebot seines aufgeblähten Repressionsapparates verlassen.
    EinBesuch der Nachtlokale regte zu trübsinniger Meditation an. Die Nackt- oder »Schönheits«-Tänzerinnen, die auf den plüsch- und samtbezogenen Bühnen ihre verwelkten Reize zur Schau stellten, auch die Prostituierten, die auf einen schnellen Abschluß drängten und vor dem schmuddeligsten Freier nicht zurückschreckten, gehörten fast ausnahmslos dem gleichen Schlag an. Es waren Russinnen oder Ukrainerinnen, knallblond gefärbte Frauen oft mittleren Alters, die darauf vertrauten, daß ihre üppigen Formen und ihre Speckfalten dem auf Leibesfülle, platingefärbte Haare und blaue Augen ausgerichteten Geschmack der orientalischen Kunden entsprachen. Eine solche kollektive Demütigung hatte das einst so arrogante Moskowiter-Reich, dessen Spitzenfunktionäre unlängst noch über den Sittenverfall der kapitali­stischen Welt degoutiert die Nase rümpften, denn doch nicht verdient. Ob das weibliche Strandgut aus Smolensk, aus Petersburg, aus Dnjepropetrowsk oder Odessa sich dieser nationalen Schmach überhaupt bewußt war? Die Verfrachtung ganzer Bataillone ost­slawischer Freudenmädchen in die Bordelle des Orients erschien als ein weit schlimmeres Symptom russischen Niedergangs als das Einziehen der imperialen roten Fahne über dem Hindukusch.
    *
    Im reizvollsten Viertel Aleppos, El Jadida, lebten die diversen Konfessionen in einer Atmosphäre der Toleranz, die in der übrigen islamischen Welt ziemlich einmalig war. Hafez el-Assad fand bei seinen christlichen Untertanen stillschweigende Unterstützung. Nur wenige störten sich daran, daß der syrische Diktator keinen Widerspruch duldete, daß er sich 1991 zum vierten Mal mit 99,9 Prozent der Wählerstimmen im Präsidentenamt bestätigen ließ. In Aleppo verfügten die starken Gemeinden der Armenier und der Maroniten über ansehnliche Kathedralen. Auch die Lateiner, die griechisch-katholischen Melkiten, die Griechisch- und die Syrisch-Orthodoxen sind mit eigenen Kirchen vertreten.
    Ich war mit dem deutschen Honorarkonsul Toutounji und ein paarseiner Freunde im armenischen Restaurant »Sissi« verabredet, das in einem ehemaligen Franziskanerkloster untergebracht war. Der wunderschöne Innenhof mit dem mönchisch-besinnlichen Rundgang, dem sprudelnden Springbrunnen und den duftenden Rosen gehörte einer beschaulicheren Zeit an. Ich wurde gleich belehrt, daß der Name »Sissi« nicht etwa auf die Habsburger Kaiserin Elisabeth zurückgeht, die durch Romy Schneider auf Zelluloid verewigt wurde, sondern auf eine Abkürzung des heiligen Franz von Assisi. Das Publikum in dieser Oase bestand im wesentlichen aus Geschäftsleuten und hohen Beamten. Mir fiel auf, daß die eleganten jungen Armenierinnen oder Maronitinnen, die offenbar der gehobenen Gesellschaft angehörten, auf erotische Wirkung bedacht waren. Die Röcke waren oft extrem kurz und die Taille blieb nackt unter dem knappen Mieder. Von Schleier und Kopftuch war hier keine Spur, während draußen in den
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher