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Apollofalter

Apollofalter

Titel: Apollofalter
Autoren: Gmeiner-Verlag
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meinst«, sagte er leise.
     

31
    Mit seiner Reisetasche stand er am Koblenzer Bahnhof. Irmchen war neben ihm. Geduldig hatte sie ihn begleitet und seine Tasche getragen, weil er noch immer an Krücken gehen musste. Über die Gleise wehte ein kühler Luftzug, der ihn schauern ließ. Der Zug musste jeden Moment kommen.
    »Es tut mir alles so leid«, sagte sie nun schon zum weiß Gott wievielten Mal. Er nickte. Sie war die Einzige, die sich halbwegs bei ihm entschuldigt hatte. Als ob er jemals in der Lage gewesen wäre, einen Menschen umzubringen. Und schon gar nicht sein Püppchen.
    Diese Polizistin war noch mal bei ihm aufgetaucht, um ihm seinen Laptop, seine Digitalkamera und seine Filmkamera zurückzugeben. Dabei hatte sie sich so was wie eine Entschuldigung abgerungen. Er war noch nicht dazu gekommen, zu kontrollieren, ob etwas Wichtiges gelöscht wurde. Vielleicht auch nur aus Versehen. Das mochte er nicht ausschließen.
    Die Lautsprecheransage kündigte seinen Zug an. »Ja, dann«, sagte Irmchen. Schließlich umarmte sie ihn mit einer Vehemenz, die er ihr nicht zugetraut hatte. »Vielleicht können Sie eines Tages all das Unrecht vergessen, das man Ihnen angetan hat«, flüsterte sie ihm ins Ohr. Ihre Lippen streiften sanft seine Wange.
    »Auf Wiedersehen, Irmchen«, sagte er herzlich und drückte ihre Hand. Dann stieg er mühsam mit seinen Krücken die kleine Trittleiter hoch. Irmchen schob die Tasche nach und schloss die Tür.
    Sie blieb auf dem Bahnsteig stehen, bis sich der Zug entfernte. Eine dicke Gestalt in ein unförmiges dunkles Kleid gehüllt.
     
    Koblenz ließ er hinter sich. Auf seinem Schoß lag das Buch von Nabokov, in dem er während seines Aufenthaltes in Winningen keine einzige Zeile gelesen hatte. »Erinnerung, sprich ...«
    Er schlug es dort auf, wo die Seitenmarkierung steckte und begann zu lesen. Die Ankunft einer »Schweizer Mademoiselle« auf einem russischen Dorfbahnhof im Winter wurde da beschrieben. Wie sie einen Laut ausstieß, der wie der heisere Schrei eines verwirrten Vogels klang. »›Giddi-eh? Giddi-eh?‹, jammerte sie, nicht nur um sich zu orientieren, sondern auch, um tiefstes Elend auszudrücken. Die Tatsache, dass sie ein Fremdling war, schiffbrüchig, mittellos, leidend, auf der Suche nach dem gesegneten Land, wo man sie endlich verstände.«
    Als er diese Zeilen las, merkte er, wie sich etwas in ihm Bahn brach. Er begann lautlos zu weinen. Unauffällig tastete er nach einem seiner braunkarierten Stofftaschentücher und wischte sich über das Gesicht. Nicht heulen, dachte er. Selbstmitleid bringt dich auch nicht weiter. Du bist erwachsen. Du kannst tun und lassen was du willst.
    Vielleicht sollte er vollkommen neu beginnen. Irgendwo, in einer anderen Stadt. Dort, wo ihn niemand kannte. Kleine Mädchen gab es schließlich überall.
     
     
     
     
     
     
     
     

Epilog
     
    »Ist heute nicht ein besonderer Tag?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht.«
    »Wenn mich nicht alles täuscht, feierst du heute deinen Fünfzigsten.« Hinterhubers Augen hinter der Goldrandbrille funkelten belustigt.
    »Was gibt’s da zu feiern?« Sie grinste schief. »Eigentlich hätte ich nichts dagegen, ewig neunundvierzig zu bleiben.«
    In diesem Moment ging die Tür auf. »Happy birthday, liebe Franca«, skandierten die Kollegen, die in das kleine Büro im Koblenzer Polizeipräsidium drängten. »Happy birthday to you.«
    Karin Steinhardt von der Prävention balancierte eine riesige Torte, auf der viele Lichtchen glühten. Wahrscheinlich fünfzig an der Zahl.
    Franca fühlte einen warmen Stich in der Herzgegend. »Ich wollte diesen Tag in aller Stille an mir vorüberziehen lassen und jetzt vermasselt ihr mir alles«, sagte sie lachend.
    »Nix da, jetzt wird gefeiert. Schließlich wird man nur einmal im Leben fünfzig.«
    In diesem Moment schrillte das Telefon. Laut und durchdringend.
    »O nein!«, rief Karin und stellte die Torte auf Hinterhubers Schreibtisch ab. Auf Francas gab es keine freie Stelle. Dort türmte sich das übliche Chaos.
    »Ein neuer Fall«, schrie jemand von hinten. »Sofort lösen!«
    Franca hob ab. »Mazzari«, meldete sie sich.
    »Du trägst ja immer noch deinen Mädchennamen«, sagte eine weibliche Stimme.
    »Bitte?«, fragte sie und runzelte die Stirn. »Wer ist denn da?«
    »Alexandra. Du erinnerst dich doch hoffentlich noch an deine beste Jugendfreundin? Oder leidest du bereits an Gedächtnisschwund?«
    Der Klang der Stimme erinnerte Franca an Sonne, Sand
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